Herr Doktor, was raten Sie mir?
Patienten müssen einer Behandlung zustimmen. Das können sie nur mit verständlichen Informationen. Aber die sind rar.
Das Risiko ist selten. Aber es ist da. „In Einzelfällen können Komplikationen auftreten, die in Ausnahmefällen lebensbedrohlich werden können.“ So steht es meist am Ende eines Aufklärungsbogens, den Patienten vor einem medizinischen Eingriff unterschreiben müssen. Jeder Patient geht davon aus, dass es ihm nicht passieren wird.
Passiert es doch, ist nichts mehr, wie es war: Mit 48 Jahren ging ein Mann aus NRW in Bielefeld zur Darmspiegelung. Bei der Entfernung von Polypen verletzte der Chirurg die Wand zwischen Darm und Bauchhöhle. Eine Darmperforation — mit lebensbedrohlichen Folgen. Notfall-OP, Intensivstation, weitere Operationen. Der Patient ist nun Frührentner, schwerbehindert, Pflegestufe 1 und muss mit einem künstlichen Darmausgang leben.
Hätte er sich anders entschieden, wenn er besser über die Risiken aufgeklärt worden wäre? Ja, sagte das Oberlandesgericht Hamm. Der Kläger habe „plausible Gründe dafür vorgetragen, dass er sich die Sache im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung noch einmal überlegt, mit einem anderen Arzt oder Verwandten besprochen oder auch eine andere Klinik aufgesucht hätte“.
Denn solch allgemein gehaltene Erklärungen erlauben es Patienten in der Regel nicht, ihr Risiko richtig einzuschätzen. „Diese Einverständniserklärungen dienen eher der juristischen Absicherung der Ärzte als der Aufklärung der Patienten“, sagt Ingrid Mühlhauser, Sprecherin des Fachbereichs Patienteninformation beim Deutschen Netzwerk für evidenzbasierte Medizin (DNEbM). Deshalb wurden dort bereits 2010 Qualitätskriterien für gute Patienteninformationen aufgestellt.
Verlässlich, verständlich und unvoreingenommen sollten sie sein. Doch immer noch sei das die Ausnahme, kritisiert Klaus Koch, Leiter des Ressorts Gesundheitsinformation beim Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).
Rein verbale Beschreibungen von Risiken könnten bei Patienten zu Fehleinschätzungen führen, moniert Mühlhauser. So lese ein Patient vor einer Gallenblasen-Operation etwa, es könne „vereinzelt“ zu Zwischenfällen kommen, die im Verlauf auch lebensgefährlich sein könnten. Oder: Nach einer Entfernung der Gallenblase wegen echter Steinbeschwerden seien die Aussichten „auf eine vollständige Heilung und Beschwerdefreiheit sehr gut“.
In konkreten Zahlen sei das viel anschaulicher, sagt die Professorin der Universität Hamburg: Wenn bei 1000 Personen die Gallenblase entfernt wird, tritt bei Bauchspiegelung bei 95 Patienten ein Durchbruch der Gallenblase auf, bei kleinem Bauchschnitt bei 53 Patienten. Eine Blutung erleiden 20 beziehungsweise 16 von 1000 Patienten. Und 16 von 1000 werden nach einer Gallenblasenentfernung aufgrund von Komplikationen erneut operiert.
Um eine Aufklärung nach solchem Muster zum Standard zu machen, arbeitet Mühlhausers Gruppe an der Hamburger Universität zusammen mit dem DNEbM-Fachbereich Patienteninformation an einer Leitlinie, die fachübergreifend Vorgaben macht für evidenzbasierte Patienteninformationen. Erklärungen müssten also auf aktuelle wissenschaftliche Belege gestützt sein. „Das sollte sogar Pflicht sein“, fordert Ingrid Mühlhauser. „Das wäre sicher auch ein Instrument, um Überbehandlungen und kommerziell motivierte Eingriffe zu reduzieren.“
Doch der Aufwand ist hoch. Die Kriterien der „Guten Praxis Gesundheitsinformation“ verlangen eine „systematische Suche und kritische Bewertung von Literatur“, dazu die genaue Definition der Zielgruppe. Bisher verbreitete Zertifikate erfüllen dagegen eher formale Aspekte wie Transparenz und Verständlichkeit.