Knochenschwund: Osteoporose wird zu selten erkannt

Essen (dpa) - Mit sechs Millionen Erkrankten in Deutschland ist Osteoporose eine Volkskrankheit der alternden Gesellschaft. Doch Diagnose und Therapie hinken in Deutschland hinterher, warnen Mediziner.

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Eine Bestandsaufnahme zum Weltosteoporosetag am 20. Oktober.

Auf einem Bein stehend oder mit den Beinen wippend kämpfen sie gegen ihr hohes Knochenbruch-Risiko. Die älteren Damen und der einzelne Herr, die an diesem Nachmittag zu ihrer Selbsthilfegruppe mit spezieller Gymnastik gekommen sind, haben Osteoporose. Ihre Knochen sind im Alter so porös geworden, dass sie schon bei kleineren Stürzen brechen können. Viele hier haben bereits Frakturen erlitten.

So wie Renate Wenzel. Ihre Wirbelbrüche blieben lange unentdeckt, bis vor sieben Jahren die Schmerzen so schlimm wurden, dass sie zum Arzt ging. „Ich fiel aus allen Wolken, als er mir sagte, dass ich Osteoporose habe“, erinnert sie sich. „Ich hatte immer Sport gemacht, jetzt konnte ich nicht mehr laufen, dachte mein Leben wäre vorbei“. Kein Einzelschicksal.

Nach Hochrechnungen von Krankenkassendaten haben rund sechs Millionen Deutsche die Skelettkrankheit. Mit fortschreitendem Alter wird sie immer häufiger: Fast jede zweite Frau und nahezu jeder fünfte Mann hat Studien zufolge eine zu niedrige Knochendichte und ein erhöhtes Risiko Wirbel- oder Oberschenkelhalsbrüche zu erleiden. „Im Alter von 70 ist Osteoporose eine Volkskrankheit“, sagt Prof. Johannes Pfeilschifter. Der Mediziner koordiniert seit zehn Jahren die Weiterentwicklung der Leitlinie zur Osteoporose, eine wissenschaftlich fundierte Orientierungshilfe zu Diagnose und Therapie.

Warum die Krankheit zum überwiegenden Teil alte Menschen, meist Frauen, befällt, sei nicht restlos geklärt. „Im Alter kulminieren aber eine ganze Reihe von Faktoren, die Osteoporose befördern können“, sagt Pfeilschifter.

Dass der Körper Knochen stärker ab- als nachbaut, führen Mediziner unter anderem auf einen Mangel an Sexualhormonen zurück. Östrogen und Testosteron sorgen in einem komplexen Zusammenspiel mit Mineralien und weiteren Hormonen für die lebenslange Knochenerneuerung. Werden sie nicht mehr so stark ausgeschüttet, gerät der Knochenneubau ins Stocken.

„Auch nachlassende Muskelkraft lässt im Alter die Knochendichte sinken“, sagt Pfeilschifter. Das Risiko für Knochenbrüche steigt. Zum diesjährigen Welt-Osteoporose-Tag am 20. Oktober wollen Experten insbesondere darauf aufmerksam machen, dass Osteoporose auch Männer treffen kann.

Für eine Gesellschaft, in der Menschen immer älter werden, sei die Krankheit eine große Herausforderung, warnen nationale wie internationale Osteoporose-Verbände. So prognostiziert die Internationale Osteoporose Stiftung (IOF), dass die Zahl der osteoporotischen Brüche zwischen 2010 und 2025 um ein knappes Drittel steigen könnte - mit dramatischen Folgen auch für das Gesundheitssystem und Familien.

„Ein Bruch im fortgeschrittenen Alter stellt alles infrage. Für viele ist es vorbei mit der Selbstständigkeit“, sagt Prof. Heide Siggelkow, Vorsitzende des Dachverbands Osteologie (DVO). Für die meisten Frakturpatienten würden Alltagstätigkeiten wie Einkaufen zur Hürde. Ein Viertel könne nicht mehr für sich selbst sorgen und werde pflegebedürftig. Besonders dramatisch: In Deutschland stirbt im ersten Jahr nach einem schweren Hüftbruch laut DVO jeder fünfte an den Folgen.

Das müsste nicht so sein, glaubt Siggelkow. „In Deutschland liegen wir, was die Diagnose betrifft, noch weit hinten“. Viele Hausärzte seien zu wenig sensibilisiert für die Anzeichen von Osteoporose. Viele schlössen selbst nach mehreren Knochenbrüchen zu selten auf das Krankheitsbild. Ohne Diagnose gibt es keine Behandlung mit Medikamenten. Dabei ließe sich mit medikamentösen Standard-Therapien die Hälfte aller Oberschenkelhalsbrüche vermeiden, sagen die Experten.

„Außerdem müssen wir die Patienten nach einem Bruch viel besser versorgen“, klagt Siggelkow. „Der Chirurg kümmert sich in der Regel bestens darum, dass die Hüfte wieder funktioniert. Wir müssen aber viel stärker in den Blick nehmen, wie es gelingen kann, dass der ganze Mensch wieder funktioniert“.

In anderen Ländern klappe die Wiedereingliederung von Patienten nach einem Bruch durch die Unterstützung von speziellem Pflegepersonal viel besser. „Ansätze, wie wir die Übergänge zwischen Krankenhaus, Heimen oder häuslichem Umfeld verbessern, stecken bei uns noch in den Kinderschuhen“, sagt Siggelkow.

Den Patienten in der Osteoporose-Selbsthilfegruppe in Essen haben Bewegung und der Austausch mit anderen geholfen, ins Leben zurück zu finden. Renate Wenzel etwa hat seit ihrer Diagnose vor sieben Jahren die Krankheit im Griff. Durch die Gymnastik hofft sie, weiteren Frakturen vorzubeugen.

So wird durch Bewegung der Knochenumbau stimuliert. Übungen können die Koordination so verbessern, dass das Sturzrisiko sinkt. Bislang hat es funktioniert. „Ich fühle mich topfit“, sagt Wenzel.