HIV im Alter: Das Schlimmste ist die Isolation

Melbourne (dpa) - Bei HIV und Aids denken die meisten Leute an junge Schwule, junge Drogennutzer, junge Sexarbeiterinnen. In westlichen Ländern ist ein Drittel der Menschen mit HIV aber über 50. Wie Robert Bardston.

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Wo werde ich meinen Lebensabend verbringen? Was, wenn ich mich nicht mehr selbst versorgen kann? Wer kümmert sich um mich? Fragen, die sich viele stellen. Für Menschen mit HIV-Infektion sind diese Fragen umso komplizierter. „Ich als schwuler Mann mit HIV im Altenheim? Unvorstellbar“, sagt Robert Bardston (64). „Die Akzeptanz ist gleich null. Es wird zwar viel gegen Vorurteile getan, aber das zielt alles auf junge Leute.“

Der Amerikaner ist Cellist, Sänger und Dozent in Rente. Er hat in den 70er und 80er Jahren lange in Detmold und Göttingen gelebt und wohnt jetzt in Montreal in Kanada. Auf der Welt-Aids-Konferenz in Australien präsentiert er ein Bühnenprogramm mit Musik über sein Leben.

„Die Probleme mit über 50 sind zu zahlreich, um sie aufzuzählen“, sagt er. „Aber das Schlimmste ist die Isolation.“ Im Alter sei Gesundheit ein beliebtes Gesprächsthema. „Man redet offen über Prostata, Zysten und graue Schamhaare, aber wenn ich sage, ich habe HIV, verstummen alle und rücken ab. Man wird behandelt, als hätte man sich an Kindern vergriffen oder es mit Tieren getrieben.“

Soziologen der Goethe-Universität in Frankfurt arbeiten an einer Studie über ältere HIV-Positive. Etwa ein Drittel der 78 000 Infizierten in Deutschland sei bereits über 50, sagt Klaus Weber, der zusammen mit Aisha Ahmad in Melbourne erste Ergebnisse vorstellte. Einsamkeit sei ein großes Dilemma: „Bei vielen älteren Menschen mit HIV sind die sozialen Netze kaputt“, sagt Weber. Viele Schwule und Drogennutzer hätten Partner durch Aids verloren. Andere seien wegen ihres Lebensstils von Familien verstoßen worden.

Kommt hinzu, dass in Erwartung eines frühen Tods viele, die vor mehr als 20 Jahren diagnostiziert wurden, keine Altersvorsorge getroffen haben oder früh aus dem Berufsleben ausgeschieden sind. „Ich dachte, ich bin mit 40 tot“, sagt der Australier Garry (55), der sich für das Fotoprojekt „ Eine ergrauende Pandemie“ über ältere Menschen mit HIV ablichten ließ. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich ein alter Knochen werde.“ Viele lebten mit Depressionen, sagt Bardston: „Auch mit Schuldbewusstsein, weil wir überlebt haben.“

Gerade vor langer Zeit Diagnostizierte haben traumatische Erlebnisse der Abweisung bei Ärzten und in Krankenhäusern gehabt, wie Ahmad berichtet. Sie hätten Angst vor neuer Ausgrenzung. Sie habe im Gespräch mit einem aufgeschlossenen Heimbesitzer selbst den aufgeregten Anruf eines Hospizmitarbeiters erlebt, der einen HIV-positiven Patienten bekam und wissen wollte, welche besonderen Schutzmaßnahmen nun nötig seien. Dass HIV-Patienten bei ganz normalen Hygienevorkehrungen kein Risiko darstellen, wüssten viele nicht, sagt Ahmad.

Der Cellist Bardston tritt wo immer erwünscht mit seinem Bühnenprogramm mit Musik und Aufklärung über HIV auf. Gerne würde er auch in Seniorenkreise und Alternheime gehen. „Ich habe Angebote gemacht, aber sie fallen auf taube Ohren.“ Die Älteren hätten Berührungsängste oder meinten, das Thema gehe sie nichts an.

Seine Trostbotschaft an andere: „Eines Tages wirst Du in den Spiegel schauen und dich selbst mit Begeisterung begrüßen, Du wirst diesen Fremden wieder lieben lernen, der dich irgendwann einmal für einen anderen verlassen hat und der Dich besser kennt als jeder andere.“

Beim Fotoprojekt über HIV und Altern dürfen Besucher in Melbourne Fragen auf Plakatwände schreiben. Nur ältere HIV-Infizierte dürfen antworten. „Was würden Sie im Leben anders machen, wenn Sie nochmals HIV-negativ wären?“ fragt jemand. „Ich würde ein verdammtes Kondom benutzen“, steht anonym darunter.