Intimchirurgie: Perfekt bis unter die Schamhaare
Leipzig (dpa/tmn) - Der seit einigen Jahren anhaltende Trend zur Intimrasur legt so manches frei, was vorher verdeckt war: nicht ganz perfekt geformte Schamlippen etwa. Schönheitschirurgen wittern ein lukratives Geschäftsfeld - doch Intim-OPs können auch schiefgehen.
Es gibt wohl nur wenige Menschen, die mit ihrem Körper rundum zufrieden sind. Aber auch wenn sie etwas auszusetzen haben: Die meisten Normalsterblichen können ganz gut mit dem leben, was die Natur ihnen gegeben hat. Manche jedoch versuchen beinah um jeden Preis, dem Idealbild entsprechen, das sie im Kopf haben. Dafür scheuen sie sich auch nicht, sogar ihren Genitalbereich schönheitschirurgisch optimieren zu lassen. Ein Trend, der Fachleuten zufolge zunimmt. Damit verbundene Risiken werden dabei oft vergessen.
„Wie abstehende Ohren oder Höckernasen gibt es auch im Intimbereich eine ganze Variation von Erscheinungsbildern“, sagt der in Leipzig niedergelassene Gynäkologe Marwan Nuwayhid. Er hat vor Kurzem die Gesellschaft für ästhetische und rekonstruktive Intimchirurgie Deutschland (Gaerid) gegründet. So gebe es etwa Frauen, die extrem unter großen Schamlippen leiden, weil sie sich etwa beim Reiten oder Radfahren wund scheuern oder das Tragen enger Jeans unmöglich machen. Manche störten sie auch beim Sex.
Patienten sollten vor einem Eingriff allerdings genau hinsehen. Denn „Schönheitschirurg“ ist keine geschützte Berufsbezeichnung und garantiert weder eine spezielle Ausbildung noch ausreichend Erfahrung. Daher empfiehlt etwa der Berufsverband der Frauenärzte auf seiner Homepage, auf die Bezeichnung „Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie“ als staatlich geprüftes und vertrauenswürdiges Qualitätsmerkmal zu achten und sich über Risiken des medizinisch unnötigen Eingriffs aufklären zu lassen. Denn wie bei jeder anderen Operation kann auch dabei viel schief gehen.
Ein Aspekt, der auch Nuwayhid beschäftigt. Mit seiner neuen, interdisziplinär arbeitenden Gesellschaft will er erreichen, dass der Erfahrungsaustausch unter den Operateuren schneller und die Qualität gesichert wird, neue OP-Techniken entwickelt und Ärzte entsprechend weitergebildet werden. „Es ist besorgniserregend, dass wir immer wieder Ergebnisse von intimchirurgischen Eingriffen sehen, die nicht fachmännisch gemacht sind“, sagt er.
„Es wird vieles gemacht, was der Gesundheit nicht dient“, warnt auch die Gesundheitswissenschaftlerin Prof. Ingrid Mühlhauser von der Universität Hamburg. Die meisten Menschen seien dem Versprechen ästhetischer Chirurgen schutzlos ausgeliefert, befürchtet sie. „Viele Leute werden erst durch solche Eingriffe krank.“ Zur Intimchirurgie - wie für viele andere ästhetische Eingriffe auch - gebe es keine unabhängigen Informationen. Patienten sollten sich immer vor Augen führen: „Medizin ist bei uns ein Geschäft.“
Schon 2009 warnten die Diplom-Psychologin Ada Borkenhagen und andere Autoren im „Deutschen Ärzteblatt“, dass Risiken bei Intim-OPs in der Regel bagatellisiert würden. Vor allem die Verkleinerung der Schamlippen werde oft als „kleiner Eingriff“ verharmlost. „Komplikationen können aber auch hier schwerwiegende Funktions- und Empfindungseinschränkungen zur Folge haben.“ Risiken seien unter anderem Infektionen, Narben, Verwachsungen oder Schmerzen beim Sex.
Laut der Empfehlung führender Gynäkologen sollte für jeglichen genitalchirurgischen Eingriff ein medizinischer Grund vorliegen, schreiben die Autoren. Denn oft spielten auch seelische Faktoren eine bedeutende Rolle: Dem OP-Wunsch liege möglicherweise ein psychischer Konflikt zugrunde, der durch einen Schnitt gelöst werden solle. So könnten sich dahinter Depressionen, narzisstische Störungen, Sexualstörungen oder Reifungskonflikte verbergen.
Dass die Intimchirurgie überhaupt Anklang findet, verbinden Mühlhauser wie Nuwayhid mit der seit einigen Jahren zunehmend verbreiteten Intimrasur. „Diese Mode zeigt Dinge, die vorher nicht so sichtbar waren, man sieht sich genauer im Spiegel an, vergleicht sich mit anderen“, sagt der Arzt. „Durch die Intimrasur sieht man mehr, was einen stören können sollte“, hält die Gesundheitswissenschaftlerin dagegen. Das Gefühl des vermeintlichen Anderssein beruhe auf einer medial vermittelten Norm, wie ein perfekter Körper auszusehen hat.
„Es ist ungeheuerlich, dass Normalität pathologisiert wird“, kritisiert sie daher. Befindlichkeitsstörungen, die mit Krankheiten nichts zu tun haben, würden zu Problemen definiert, an deren Lösung ein Arzt dann Geld verdienen dürfe. Es müsse viel stärker ins öffentliche Bewusstsein gelangen, dass es ein Spektrum der Normalität und des Variantenreichtums des menschlichen Körpers gebe, das nicht einer bestimmten Norm entsprechen sollte, fordert sie.