Jahrhundertkoch Witzigmann: Deutschland kocht über
München (dpa/lby) - Er kochte für die Reichsten und Mächtigsten und sammelt Spenden für die Ärmsten: Der „Jahrhundertkoch“ Eckart Witzigmann wird 70 Jahre alt. Im Interview sprach er über den Umgang mit Lebensmittelqualität in Deutschland und sein Engagement für Afrika.
Erst BSE, jetzt EHEC - auch Gemüse steht jetzt auf dem Index, sogar aus biologischem Anbau. Was soll man noch essen - was essen Sie selbst?
Witzigmann: „In Deutschland müssen Lebensmittel zuallererst einmal billig sein, und damit beginnt das Problem. Billig und gute Qualität gehen nicht zusammen, da sollten sich die Konsumenten nichts vorgaukeln lassen. Man hat beim aktuellen EHEC-Skandal aber auch die Ohnmacht und Probleme der Aufsichtsämter gesehen. Da wurde ja fast täglich eine andere Gemüsesorte diskriminiert. Die spanischen Gurken werden noch einige Zeit brauchen, sich von dieser Panikattacke zu erholen. Ich habe mich von der allgemeinen Hysterie nicht anstecken lassen und mein Gemüse weiter bei den Leuten meines Vertrauens gekauft und mit Genuss gegessen.“
Sie haben für Queen Elisabeth II., König Carl-Gustav und Königin Silvia von Schweden, für Michail Gorbatschow und George Bush gekocht. Was mögen die Reichen und Mächtigen - haben sie einen anderen Geschmack als „das Volk“?
Witzigmann: „Die sogenannten Reichen und Mächtigen essen nicht viel anders als meine anderen Gäste. Salopp gesagt wird auch da gegessen, was auf den Tisch kommt. Ich hätte es auch als recht unfair gesehen, für einen prominenten Gast besondere Umstände zu entwickeln. Mir war von jeher jeder Gast gleich wichtig. Und bei den wichtigen VIPs wird bereits im Vorfeld kommuniziert, was bei den Herrschaften erwünscht ist oder auf welche Allergien Rücksicht genommen werden muss. Aber auch bei ungekrönten Häuptern haben wir immer versucht, auf solche Dinge einzugehen.“
Kochsendungen, Kochbücher, Kochkurse: Warum ist Kochen so stark in Mode gekommen - sind die Deutschen häuslicher geworden?
Witzigmann: „Na ja, ob das in eine neue deutsche Häuslichkeit mündet, da habe ich so meine Bedenken. Fakt ist, dass Deutschland in der Tat überkocht und zunehmend habe ich das Gefühl, dass jeder, der gelernt hat, einen Herd richtig einzuschalten, in der Öffentlichkeit bereits als der große Kochstar gilt. Ich habe nur den Eindruck, dass all die medialen Botschaften nicht ankommen und sich versenden. Man hört sich fasziniert die Kunde von Frische und Gesundheit, ökologisch korrekten Nahrungsmitteln und all die Tipps und Tricks für den eigenen Herd an - und dann öffnet man das Tiefkühlfach und wirft eine Pizza mit Analogkäse und Formschinken in die Mikrowelle.“
Ihr persönliches Lieblingsgericht?
Witzigmann: „Ich habe kein Lieblingsgericht im herkömmlichen Sinn. Bei mir hängt das immer davon ab, wo auf der Welt ich mich gerade befinde und wie es um meinen Seelenzustand bestellt ist.“
Sie haben der „Nouvelle Cuisine“ zur Revolution verholfen - inzwischen ist sie etabliert, fast schon Standard. Sogar die Molekularküche ist nichts Neues mehr - gibt es inzwischen einen ganz neuen Trend?
Witzigmann: „Der Trend ist, dass es keinen gibt, alles wird möglich. Wir leben in einer globalisierten Koch- und Genusswelt, es gibt immer weniger Geheimnisse zu entdecken. Der Gast von heute ist weit gereist, hat alle digitalen Informationsmöglichkeiten ausgeschöpft und weiß genau, was er will. Und die jetzt mit viel Getöse propagierte regionale Küche ist für mich auch bereits ein alter Hut. Das habe ich schon vor 30 Jahren gepredigt. Wir brauchen kein Mineralwasser von den Fidschi-Inseln oder Papageienfische aus der Südsee, wenn vor der Haustüre herrliches Wasser aus der Erde kommt oder sich wunderbare Flusskrebse im Wasser tummeln.“
Sie sind Schirmherr von „Spitzenköche für Afrika“ der Äthiopienhilfe „Menschen für Menschen“. Überfluss in den Industrieländern, Hunger in Afrika - wie kann dauerhaft geholfen werden?
Witzigmann: „Dauerhaft heißt in diesem Fall zuerst einmal, dass man da in ungeheuerlich langen Zeiträumen denken muss. Das ist mehr als eine Generationenaufgabe. Bei 'Spitzenköche für Afrika' fließt das Geld primär in Bildungseinrichtungen. Wissen ist schlichtweg die größte Macht. Bis das aber alles greift, muss in Afrika - und leider auch in anderen Gebieten unserer Erde - pragmatisch geholfen werden. Auch wenn Sie jetzt anfangen, weniger Fleisch zu essen, hilft das nicht sofort den von Hunger Bedrohten auf dem schwarzen Kontinent. Ich glaube, wir sind alle reich genug, hier zuallererst einmal mit Geld zu helfen und dann mittel- und langfristig mit den Ressourcen unserer Mutter Erde sorgfältiger und gewissenhafter umzugehen. Nur das hilft auf Dauer wirklich. Ich halte da Gentechnik auch nicht für den Stein der Weisen. Den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben, hat noch nie funktioniert.“
Haben Sie gerade neue Projekte oder Bücher in Arbeit?
Witzigmann: „Ich bin abergläubisch und will nicht über ungelegte Eier sprechen. Aber gehen Sie davon aus, dass ich auch mit 70 immer noch neugierig bin.“