Kann Alzheimer durch Hirn-OPs ausgelöst werden?
London (dpa) - Bei medizinischen Eingriffen wie Hirn-OPs könnten Alzheimer-typische Eiweiße auf gesunde Menschen übertragen werden. Hinweise darauf fanden britische Forscher bei Verstorbenen.
Die Betroffenen hatten zur Behandlung von Kleinwuchs verunreinigte Wachstumshormone aus menschlichem Gewebe erhalten, wie die Wissenschaftler im Fachmagazin „Nature“ schreiben. Ob die früh gestorbenen Patienten jemals Alzheimer bekommen hätten, ist allerdings unklar. Ein weiteres, typisches Merkmal der Erkrankung fanden die Wissenschaftler nicht.
Sie gehen davon aus, dass einige der Hormon-Spender an Alzheimer erkrankt waren. Durch die Übertragung der Hormone gelangten bestimmte Eiweiße in den Körper des Empfängers. Sie lösten dort Alzheimer-typische Veränderungen im Gehirn aus. Bei der Pflege oder dem Umgang mit Alzheimer-Patienten bestehe aber keine Gefahr einer Ansteckung, betonen Experten.
Die Forscher um Zane Jaunmuktane vom National Hospital for Neurology and Neurosurgery in London untersuchten Patienten, die an der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJD) - einer anderen Hirn-Erkrankung - gestorben waren. Sie hatten meist als Kind Wachstumshormone aus den Hirnanhangdrüsen Verstorbener erhalten, die vermutlich mit Prionen verunreinigt waren.
Mittlerweile werden diese Hormone anders gewonnen: Seit 1985 stellt man sie nach Angaben des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Krankheiten (DZNE) biotechnisch her. Eine potenzielle Gefährdung über diese Präparate könne deshalb ausgeschlossen werden.
Prionen bestehen aus Eiweißmolekülen, die auch im Gehirn gesunder Menschen vorkommen. Unter gewissen Umständen verändern sie ihre Form. Diese Fehlfaltung kann dann wie in einer Kettenreaktion auf die gesunden Eiweiße übertragen werden. Sie verklumpen, lagern sich im Gehirn ab und rufen die CJD-typischen Symptome hervor.
Die Wissenschaftler untersuchten acht dieser Patienten, die im Alter zwischen 36 und 51 Jahren an CJD gestorben. Die Forscher entdeckten in ihrem Gehirn neben den CJD-Merkmalen auch Ablagerungen von Amyloid-ß-Eiweißen in den Blutgefäßen und in der grauen Substanz des Gehirns. Diese Plaques sind typische Kennzeichen von Alzheimer und bei jüngeren Menschen sehr ungewöhnlich.
Bei Patienten, die an anderen Prionen-Erkrankungen verstorben waren und die zuvor keine menschlichen Wachstumshormone erhalten hatten, entdeckten die Forscher solche Auffälligkeiten nicht.
Aus diesen Beobachtungen entwickelten sie folgende Theorie: Einige der Spender der Hirnanhangdrüsen, aus denen die verabreichten Wachstumshormone gewonnen wurden, hatten Alzheimer. Dadurch konnten Amyloid-ß-Eiweiße auf den Empfänger der Hormone übertragen werden. Im Gehirn sorgten sie über einen Domino-Effekt für die Fehlfaltung körpereigener Amyloid-ß-Eiweiße, die typisch für Alzheimer sind. Die Amyloid-ß-Eiweiße würden sich damit ähnlich wie Prionen verhalten.
Die Ablagerung sogenannter Tau-Proteine - ein weiteres Alzheimer-Anzeichen - war jedoch nicht zu beobachten. Womöglich hätten die Patienten diese aber entwickelt, wenn sie nicht zuvor an CJD verstorben wären, schreiben die Wissenschaftler.
Es gebe keine Hinweise darauf, dass die Alzheimer-Erkrankung an sich ansteckend ist, betonen die britischen Forscher. Dennoch sollte geprüft werden, ob bei medizinischen Eingriffen, etwa über chirurgische Instrumente oder Blutprodukte, Amyloid-ß-Eiweiße übertragen werden können. Es sei bekannt, dass diese Eiweiße an Metalloberflächen hafteten und übliche Sterilisationsmethoden überstehen.
Auch der wissenschaftliche Vorstand des DZNE, Pierluigi Nicotera, erinnerte daran, dass epidemiologische Studien keinerlei Hinweise auf Alzheimer als infektiöse Erkrankung liefern. „Auch Tierversuche deuten nicht auf eine Infektion hin.“ Die Experten des DZNE fürchten, dass Alzheimer-Patienten stigmatisiert werden könnten.
Um die Ergebnisse der britischen Forscher zu untermauern, sollten eventuell noch vorhandene Reste der Wachstumshormone darauf getestet werden, ob sie Amyloid-ß-Eiweiße enthalten, schreiben Mathias Jucker von der Universität Tübingen und Lary Walker von der Emory University in Atlanta (US-Bundesstaat Georgia) in einem Kommentar zu der Studie. Außerdem sei es nötig, die noch lebenden Empfänger weiter zu beobachten und zu prüfen, ob sie ein erhöhtes Risiko für Alzheimer tragen. Bisherige Untersuchungen lieferten keine Hinweise darauf.
Die Studie der britischen Forscher sei schlüssig und bestätige weitgehend die bisher in Tierversuchen gewonnenen Erkenntnisse zur Übertragbarkeit von Amyloid-ß-Eiweißen, urteilt Armin Giese vom Zentrum für Neuropatholgie und Prionforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München. „Es ist aus meiner Sicht eher unwahrscheinlich, dass die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit die Alzheimer-Pathologie verursacht hat. Denn bei CJD-Patienten, die keine dieser Wachstumshormone bekommen haben, sieht man keine Häufung von Alzheimer-typischen Veränderungen.“
Die Studie liefere einen weiteren Beleg dafür, dass die Verklumpungsprozesse unter sehr speziellen Bedingungen übertragbar sind. „Man muss sich nun darüber Gedanken machen, welche Risiken damit zusammenhängen und wie sich diese verhindern ließen.“ Giese betont, dass ein immer besseres Verständnis von Prion- und Prion-ähnlichen Erkrankungen große Chancen bietet, neue Möglichkeiten der Behandlung und Früherkennung zu entwickeln.