Kümmern motiviert: Hühnerfarm hilft psychisch Kranken
Ravensburg (dpa) - Hühner als Therapeuten? Die Arbeit mit Tieren kann Menschen mit einer psychischen Krankheit helfen, sich neu wahrzunehmen. Ein Projekt im schwäbischen Ravensburg ist beispielhaft.
Ein Hühnerhof mit wechselndem Standort gibt psychisch kranken Menschen Hoffnung auf ein erfülltes Leben. „Sie können sich in ihrer Arbeit mit einbringen, haben eine Identifikation mit ihrer Aufgabe, mit der Natur und natürlich mit den Hühnern und den erzeugten Eiern“, sagt Gärtnerei- und Produktionsleiter Andreas Gronmaier. Alle paar Wochen wechselt der fahrbare Stall der Riesenhof-Gärtnerei in Ravensburg den Standort. Die Gärtnerei gehört zu den Sozialpsychiatrischen Hilfen der Bruderhaus Diakonie.
Die Mitarbeiter kümmern sich um die Tiere, sammeln Eier ein, halten den Hühnerstall sauber und kümmern sich um den Umzug. „Die Hühner zertreten und zerpicken die Wiese, der sich ansammelnde Kot ist auf Dauer aus hygienischer Sicht bedenklich“, erklärt Gronmaier. Bei schönem Wetter fahren die Hühner daher alle zwei Wochen, im Winter oder bei Dauerregen sogar wöchentlich an einen anderen Ort. „So dürfen sich die Hühner immer auf frisches Gras freuen.“
Das „Hühnermobil“ ist perfekt an die Bedürfnisse von Chantal angepasst: Es gibt einen warmen Schlafplatz, daneben einen „Scharr-Raum“, in den sich die Henne bei schlechtem Wetter zurückziehen kann. Und wenn Chantal will, kann sie von dort aus direkt aufs Feld hüpfen und frisches Gras fressen. Statt Massentierhaltung ist die mobile Farm überschaubar. Chantal lebt in Gesellschaft von drei weiteren Hühnern und drei Hähnen.
Hühner als Therapeuten? „Die Notwendigkeit, sich um die Tiere kümmern zu müssen, übt einen elementaren und sofort nachvollziehbaren Reiz aus“, sagt Michael Ziegelmayer vom Berufsverband Deutscher Psychologen. „Man wird gebraucht, man hat Verantwortung. Es bedarf keiner komplizierten Vermittlung oder guter Argumente, die Notwendigkeit ist unmittelbar einsichtig.“
Bundesweit gibt es etwa 40 Reha-Einrichtungen, die psychisch erkrankte Menschen in Ausbildung oder Beschäftigung - im Idealfall auf dem ersten Arbeitsmarkt - führen wollen. „Wichtig ist in jedem Fall, die Erkrankten an eine Tagesstruktur heranzuführen und sie in einen guten Sozialkontext einzubinden“, betont Ziegelmayer. „Das Wissen, dass einer auf den anderen angewiesen ist, hat einen unmittelbaren Aufforderungscharakter ganz im Gegensatz zu abstrakten Reizen, bei denen es ums reine Geldverdienen geht oder darum, dass eine Maschine bedient werden soll.“
Die Arbeit mit Tieren sei im Arbeitsbereich mit psychisch Beeinträchtigten noch selten, aber in besonderer Weise motivierend, sagt der Geschäftsführer der Aktion Psychisch Kranke in Bonn, Ulrich Krüger. Bei der Rehabilitation seien keine Patentrezepte, sondern passgenaue Lösungen gefragt. Es komme darauf an, die richtige Form der Tätigkeit, die geeignete Belastung, aber auch die passende Umgebung für die Patienten zu finden: „Man muss sich von der Vorstellung lösen, dass alle psychischen Erkrankungen vergleichbar sind.“