Lauf-Ratgeber: Über die Schmerzgrenze
Wenn der Langlauf zur Qual wird, ist es Zeit, aufzuhören. Doch viele Läufer sind dazu zu stolz oder überschätzen sich.
Düsseldorf. Laufen ist ein Volkssport. Es ist kostengünstig, man muss sich dazu in keinem Fitnesscenter oder Verein anmelden und kann es tun, wann immer man Lust hat. Doch vielen reicht das einsame Training im Wald auf Dauer nicht. Sie wollen sich messen, sich und anderen etwas beweisen. Gelegenheit dazu geben viele Laufveranstaltungen, wie der Halbmarathon in Wuppertal Anfang des Monats oder am kommenden Wochenende beim Marathon in Düsseldorf.
Mitmachen kann dabei jeder — aber nicht jeder kommt auch an. Viele geben unterwegs auf — und für einige endet der Lauf gar im Krankenhaus. Weil sie sich verschätzt und übernommen haben, Herz und Kreislauf den Anstrengungen nicht gewachsen waren. Beim Halbmarathon in Berlin kollabierte zuletzt ein 24-Jähriger kurz vor dem Ziel und starb später im Krankenhaus. Beim „Zuckerspiel“ in Wuppertal brach ein 56-jähriger Läufer zusammen und konnte nicht mehr reanimiert werden.
„Die wenigsten laufen richtig“, sagt Willi Heepe. Der 75-Jährige war über 30 Jahre lang Medizinischer Direktor des Berlin-Marathons und hat viele Läufer an der Strecke betreut. Er weiß: „Viele denken, Sie haben viel mehr drauf, als tatsächlich der Fall ist.“
Besonders problematisch sei, dass viele Sportler sich vor dem Lauf nicht untersuchen ließen. „Rund 40 Prozent der Teilnehmer beim Berlin-Marathon waren nie beim Arzt“, sagt Heepe. Dabei gehöre eine ordentliche Untersuchung gleich an den Anfang einer Läuferkarriere. „Bevor man anfängt, sollte man sich einer Leistungsdiagnose unterziehen“, sagt der Experte.
Dabei werden die Sauerstoffaufnahme, der Kohlenstoffabbau und die Herzleistungsdaten ermittelt und ein entsprechender Trainingsplan erstellt. Der liege meist weit under dem, was die Läufer erwarten. „Manchmal kommen ältere Läufer zu mir und wollen einen Plan, mit dem sie ,noch mal die vier Stunden knacken’ können. Die schicke ich weg“, sagt Heepe. Von medizinischen Zwangsuntersuchungen und Attestpflicht halte er aber nichts. Besser sei es, die Läufer von der Ernsthaftigkeit der Angelegenheit zu überzeugen. „Sonst holt sich jeder nur einen Stempel bei seinem Hausarzt“, befürchtet der Mediziner.
Zum Verhängnis können auch schlecht auskurierte Erkrankungen werden. „Nach einem Grippeinfekt muss man beispielsweise mindestens drei Wochen pausieren“, rät der Sportarzt. Die wirke sich schließlich auch aufs Herz aus. Schon häufig habe er Todesfälle infolge von Grippeerkrankungen erlebt. Ebenso wie durch Bluthochdruck. „Der wird bei vielen vorher gar nicht erkannt.“
Damit das Marathon-Erlebnis nicht tödlich endet wie in der griechischen Sage, sollte jeder Läufer außerdem stets auf seinen Körper hören. „Das Gefühl gibt meistens recht“, sagt Willi Heepe. „Wenn ich eine eklatante Schwäche spüre, einen starken Leistungsverlust, Atemnot, Muskelkrämpfe, vielleicht sogar Übelkeit, dann sollte ich den Mut besitzen, mir zu sagen: ,Heute nicht.’“
Diesem Mut stehen bei vielen Läufern aber Ehrgeiz und Stolz im Weg. „Man prahlt vor dem Lauf, schließt Wetten mit Freunden oder Kollegen ab. Die Glücksgefühle werden am Biertisch geholt“, sagt Heepe.
Auch Lauf-Coach Andreas Butz aus Euskirchen weiß aus Erfahrung, dass besonders beruflich erfolgreiche Menschen gerne den Marathon laufen, um sich auch in einem anderen Bereich zu beweisen. „Wer den Marathon mitläuft, gilt als zielstrebig und ausdauernd“, sagt Butz. Willi Heepe ist selbst schon viele Male den Marathon gelaufen. Beweisen will er dabei niemandem etwas. Sein Rezept: „Ich laufe nie mit Uhr. Am Start gucke ich immer in meine Seele und laufe dann so, dass ich im Ziel ankomme und noch weiter laufen könnte.“