Zu Risiken und Krankheiten fragen Sie Ihre App
Mehr als 15 000 der kleinen Programme gibt es für Smartphones bereits. Was bringen sie?
Frankfurt/Berlin/Hannover. Klingt ja erst einmal praktisch: Ein Tütchen aufs Handy stecken und pusten, ob man nach dem Zechen noch fahren kann. Ein Foto vom Urinteststreifen schießen und das Display verrät, ob es tatsächlich eine Blasenentzündung ist. Vom Bett aus die Symptome eintippen und schon kommt die Diagnose: Grippe. Medizin-Apps boomen. Aber viele sind Schrott, sagen Experten.
Beispiel Schwarzer Hautkrebs. Wer gefährdet ist, lässt Leberflecke regelmäßig vom Arzt kontrollieren. Könnte diese „Blickdiagnose“ nicht auch ein Kameraauge übernehmen? Mehrere Apps bieten genau das an. Mittels Algorithmen wird die Wahrscheinlichkeit berechnet, dass der Fleck bösartig ist. „Eine Studie hat bewiesen, dass selbst die App mit dem vermeintlich besten Erkennungserfolg nach dieser Methode knapp ein Drittel der Testfälle falsch negativ klassifizierte“, weiß Urs-Vito Albrecht von der Medizinischen Hochschule Hannover.
2011 gab es laut Branchenverband Bitkom bereits 15 000 Gesundheits-Apps. Nur die wenigsten bieten echte medizinische Hilfen wie Fieber- und Blutzuckermessen, Alkohol- oder Sehtests; meist handelt es sich um Angebote wie Schrittzähler für Jogger oder Trainingsprogramme mit Fitnessübungen.
Auch wenn die Technik noch so gut wäre: „Keine Diagnose-App kann das Expertenwissen, die Erfahrung, das Einfühlungsvermögen eines guten Arztes ersetzen. Dazu ist eine Maschine nicht in der Lage“, sagt Albrecht.
Älter als Med-Apps fürs Smartphone sind Webseiten zur Selbstdiagnose — die neuen Apps sind oft nur mobile Ableger. Hat sich das Verhältnis zwischen Arzt und Patient dadurch verändert? Fachliteratur in der Unibibliothek nachgelesen hat kaum einer — mal schnell seine Symptome googeln macht fast jeder.
Früher habe man in den Praxen mehr „von oben nach unten“ diskutiert, sagt Martin Leimbeck, Landarzt im mittelhessischen Braunfels. „Das wandelt sich gerade.“ Problematisch werde es nur, wenn die Leute mit angelesenem Halbwissen kämen. „Sie wissen ja nie: Ist das alles korrekt, was da steht. Nehmen Sie zum Beispiel die Seiten der Impfgegner. Sie wissen auch nicht: Wer schreibt das überhaupt? Ein Selbsthilfe-Portal kann ein Werbeladen für die Pharmaindustrie sein.“
Anders liegt der Fall bei Fachärzten, die mit chronischen oder lebensbedrohlichen Krankheiten zu tun haben, etwa Onkologen. „Krebspatienten müssen so gut wie möglich informiert sein, um für sich einen Weg durch die Krankheit zu finden“, sagt Prof. Bernhard Wörmann, Medizinischer Leiter der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO). Er ist es gewohnt, dass Patienten „mit halben Aktenordnern unter dem Arm“ zu ihm in die Charité kommen, aber es nervt ihn „kein bisschen“ — im Gegenteil.
Dass der Patient leichter an Infos kommt, kann auch den Arzt weiterbringen, glaubt Mediziner Albrecht. „Der Arzt ist mehr gefordert, er muss sich mit den Informationen der Patienten aus dritten Quellen auseinandersetzen.“ Früher habe sich der Patient leichter der Autorität des Arztes unterworfen. Heute sei er — gerade bei seltenen Krankheiten — oft selbst Experte. „Als junger Arzt habe ich das bei einigen meiner Patienten sehr geschätzt.“