Machen Opioide süchtig? Leitlinie soll Ängste abbauen
Frankfurt/Main (dpa/tmn) - Morphiumsucht! - geistert in vielen Köpfen herum, wenn die Rede von Opioiden ist. Das sind Medikamente, die mit dem schmerzstillenden Morphin verwandt sind. Eine neue Leitlinie soll Patienten Orientierung geben und unbegründete Ängste abbauen.
Schmerzen können Menschen das Leben zur Hölle machen. Zur Behandlung steht eine ganze Reihe von Medikamenten bereit. Dazu gehören die mit dem Morphin verwandten Opioide. Nach Angaben des Deutschen Arzneimittelprüfungsinstituts (DAPI) stieg die Zahl der Kassenpatienten, die mit Opioiden behandelt wurden, zwischen 2005 und 2009 deutlich an: von 1,05 Millionen auf mehr als 1,2 Millionen. Zugleich stieg die durchschnittliche Packungszahl pro Patient und die Verordnung der größten Packungen.
Während einerseits die Rede von einer Unterversorgung mit Opioiden für chronische Schmerzpatienten ist, die nicht an Krebs leiden, kommt auch immer wieder der Begriff Überversorgung ins Spiel. Beides bestehe durchaus nebeneinander, sagt Prof. Wolfgang Koppert, Präsident der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (DGSS) in Frankfurt. Neue Leitlinien sollen Patienten eine Orientierung über den Einsatz der Mittel geben - viele Menschen haben vor allem Angst vor einer Abhängigkeit oder Sucht.
„Opioide docken an Strukturen zur Schmerzkontrolle im Gehirn an“, erläutert Gerhard Müller-Schwefe, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie (DGS). Das heißt, sie verstärken die körpereigene Schmerzkontrolle und verändern damit die Wahrnehmung des Schmerzes. Nebenwirkungen sind bei vielen Patienten Übelkeit und Verstopfung. Zu den als positiv empfundenen Seiteneffekten gehören eine Verbesserung der Stimmung, weniger Angst und eine wohltuende Müdigkeit.
Die Opioide fallen in Deutschland unter die Bedingungen des Betäubungsmittelgesetzes, „denn es besteht die Gefahr des Missbrauchs (...), sofern die Mittel nicht im Rahmen der Schmerztherapie eingesetzt werden“, schreibt das DAPI. Ärzte dürfen die Mittel nur auf speziellen Rezepten verordnen, deren Gebrauch streng dokumentiert werden muss. Sie werden vor allem bei Tumoren und nach Operationen verordnet, aber auch bei mittel- bis schweren chronischen Schmerzen.
„In den 70er und 80er-Jahren waren die Opioide in Deutschland regelrecht verschrien, weil sie in hoher Konzentration Sucht erzeugend sind“, sagt Prof. Hardo Sorgatz, Psychologe an der Technischen Universität Darmstadt. „Die Industrie hat dann neue Darreichungsformen entwickelt, zum Beispiel Pflaster oder Tabletten, in denen die Wirkstoffe langsam freigesetzt werden, die Wirkung schlägt somit nicht so schnell an.“ Das Risiko, von den neuen Opioiden abhängig zu werden, schätzen die Experten bei sachgemäßem Gebrauch als gering ein.
Streit gab es in den vergangenen Jahren darüber, wie viel wirksamer die Opioide im Vergleich zu anderen Schmerzmitteln sind. Sorgatz erstellte mit Kollegen für die DGSS eine Studie, in der Literatur zu Opioiden bis zum Jahr 2007 zusammengefasst wurde. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass sie eben bei längerer Anwendung nicht viel wirksamer sind als beispielsweise nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) wie Diclofenac oder Ibuprofen. Diese Ergebnisse wurden heftig debattiert. So kritisierte Müller-Schwefe von der DGS, dass die Studienlage für solch eine Aussage nicht ausreiche.
„Wichtig ist aber, dass keine Monotherapie mit Opioiden bei chronischen Schmerzen betrieben wird, sondern dass zu den Medikamenten auch psycho- und bewegungstherapeutische Maßnahmen angeboten werden“, sagt Koppert. Empfohlen wird eine Kontrolle der Behandlung spätestens alle drei Monate. Aus den Studien ergibt sich im Lauf der Anwendung eine abnehmende Wirkung der Opioide. Auch sollte sich eine Schmerztherapie immer an den Nebenwirkungen orientieren, die für jeden Patienten individuell zu betrachten seien. NSAR könnten beispielsweise zu Blutgerinnungsstörungen und Magenblutungen führen.