Mikro-Brauer gegen das Reinheitsgebot

Hamburg (dpa) - Natürlich, exotisch, mit einer Prise Revolution: Immer mehr Mikro-Brauereien produzieren Biersorten mit speziellen Aromen - und stoßen damit eine Diskussion über ein 500 Jahre altes Gesetz an.

Foto: dpa

Kürbis-Ingwer-Mischung oder Imkertrunk? Vielleicht Pils mit Walnussaroma? Oder doch Kräuterbier und Rauchbier mit Schinkenaroma? Im Sortiment von Braumeister Sascha Lämmer aus Rickling in Schleswig-Holstein befinden sich sehr ungewöhnliche, aber beliebte Biersorten. „Dem Volk aufs Maul gebraut“, nennt Lämmer seine Biervariationen - und liegt dabei ganz im Trend der Bierszene.

Denn in den vergangenen Jahren kam es zu einem Boom der Mikro-Brauereien. Nach Angaben des Deutschen Brauer-Bundes (DBB) gibt es insgesamt rund 1350 registrierte Braustätten, davon stellen 860 weniger als 3000 Hektoliter im Jahr her. 2005 existierten laut Statistischem Bundesamt bereits 750 Mikrobrauereien, heute stellen sie rund 50 Prozent aller Braustätten.

„Von Freude“ heißt etwa eine Hamburger Mischung aus Hopfen, Hefe und einer Prise Ingwer. Seit einem Jahr will Martin Schupeta sie „mit mehr Natürlichkeit“ produzieren, als Gerstensaft ohne chemische Zusatzstoffe.

Doch nicht überall finden die für den deutschen Biergaumen exotischen Getränke Freunde. Offiziell dürfen die Brauer ihr Produkt nicht einmal unter der Bezeichnung Bier vertreiben: Kunst-Brauer dürfen es nur als „Biermischgetränk“ verkaufen. Denn die Getränke mit exotischen Zusätzen werden nicht nach den Richtlinien des deutschen Reinheitsgebotes hergestellt.

Das Reinheitsgebot, der Stolz der deutschen Biertrinker, existiert seit knapp 500 Jahren. Damals wurde der Panscherei mit giftigen Tollkirschen und anderen lebensgefährlichen Substanzen erstmals per Gesetz ein Riegel vorgeschoben. Heute sei das Gesetz wegen chemischer Zusatzstoffe aber längst überholt, sagte jüngst Axel Ohm, Organisator des „Winter Beer Day“ in Hamburg.

„Unter dem Deckmantel des Reinheitsgebotes werden Chemikalien hineingegeben und dann wieder herausgefiltert. Da sind dann auch nicht nur Hefe, Wasser und Hopfen im Bier“, sagt Ohm. Viele der Mikro-Brauereien produzieren daher auch ganz bewusst entgegen der Richtlinien und geben neben den erlaubten Zutaten auch neue Aromen hinzu. Besonders bei jungen Leuten in den großen Ballungsräumen ist der Zuspruch groß, in Berlin und Hamburg gab es laut DBB den meisten Zuwachs im Brauereigewerbe.

„Die neuen Trends bereichern definitiv den Markt und steigern die Vielfalt, aber von einer Revolution kann man nicht sprechen“, sagt DBB-Sprecher Marc-Oliver Huhnholz. Denn nur in Deutschland ist der exotische Gerstensaft ein neuer Trend. In den USA und in Nordeuropa ist es eine Tradition, mit Bier zu experimentieren. „Craft Beer“ und das dänische Weihnachtsbier „Julebryg“ gibt es seit knapp hundert Jahren.

Dass es gerade jetzt eine Renaissance der Eigenproduktionen gibt, ist für Frank-Jürgen Methner, Professor für Brauwesen an der Technischen Universität Berlin, nicht überraschend. „Großbrauereien haben in den vergangenen Jahren einfach die Möglichkeit versäumt, die Vielfalt des Bierbrauens zu nutzen und neue Sachen auszuprobieren“, sagt Methner.

Jedoch: Das Reinheitsgebot aufzuheben sei nicht zwingend notwendig, erklärt der DBB. „Es gibt viele Möglichkeiten innerhalb dieses Gesetzes, neue Aromen auszuprobieren“, sagt Huhnholz. Die etablierten Brauereien müssten einfach nur mehr Kreativität im Gärvorgang wagen. „Die Spannbreite ist groß.“

Großbrauereien wie Radeberger und Bitburger produzieren seit 2010 beziehungsweise 2013 limitierte Deluxe-Biersorten, gegen das Reinheitsgebot wollen sie aber nicht antreten. Der deutsche Gaumen solle nicht verschreckt werden, lautet die Devise.