Mit Körnermühle und iPhone für eine bessere Welt
Berlin (dpa) - Vor bald 30 Jahren begründete der Italiener Carlo Petrini die Slow-Food-Bewegung. „Slow“ wollten bald auch andere sein, doch in keinem anderen Bereich konnte sich der Wunsch nach einem moderaten Lebenstempo so durchsetzen wie beim Essen.
Protest und Genuss gehören manchmal einfach zusammen. Als jüngst mehrere Zehntausend Menschen in Berlin für einen besseren Tier- und Klimaschutz in der Landwirtschaft auf die Straße gingen, da waren auch etliche Anhänger der Slow-Food-Bewegung auf den Beinen. Unter ihnen der Aktivist Hendrik Haase, der Salamischeiben an seine Mitstreiter verteilte.
Dass Haase nicht zu irgendeiner x-beliebigen Wurst gegriffen hatte, lag nahe, immerhin hat sich der Verein unter anderem der Förderung einer verantwortlichen Landwirtschaft und Fischerei, des traditionellen Lebensmittelhandwerks sowie der Bewahrung der regionalen Geschmacksvielfalt verschrieben. Die Salami stamme von einem Metzger auf Rügen, der die Wurst nicht nur herstelle, sondern seine Tier auch noch selbst schlachte, erklärte Haase.
Das Thema gesunde Ernährung treibt scheinbar immer mehr Menschen um, darunter viele junge. So verfügt Slow Food mittlerweile über eine eigene Jugendbewegung namens Slow Food Youth Network. Mit dabei ist auch die Kalifornierin Keighley McFarland. „Ich kam vor zwei Jahren neu nach Berlin und wollte Leute finden, die mein Interesse an gutem Essen teilen, selbst kochen und gärtnern“, sagt sie.
Einmal im Monat trifft sich die Berliner Slow-Food-Jugend. „Jeder bringt was mit und wir kochen spontan“, sagt die junge Frau. Die Entwicklung, sich zunehmend kritisch auch mit den eigenen Ernährungsgewohnheiten auseinanderzusetzen, ist nach Meinung des Trendforschers Eike Wenzel noch lange nicht zu Ende. „Das wird die Nahrungsmittelkonzerne herausfordern. Die Leute hassen nicht nur Banker.“
Bemerkenswert sei, wie pragmatisch die neue Generation an die Sache herangehe. „Sie wollen eine bessere Welt - mit Körnermühle und iPhone, diesen Gegensatz bringen die auch zusammen“. Und so spielt die Vernetzung über Online-Netzwerke bei der Slow-Food-Jugend eine wesentliche Rolle, etwa bei der Verabredung zum monatlichen Kochen per Facebook.
Seine Nische hat offensichtlich auch der „Slow-Tourism“ gefunden. Der in Berlin lebende Brite Paul Sullivan etwa hat vor einigen Jahren die Seite slowtravelberlin.com ins Leben gerufen, die Berlin-Tipps jenseits ausgetretener Touristenpfade bietet. Mit einer Bewegung wie Slow Food sei das Experiment natürlich nicht gleichzusetzen, sagt Brian Melican, der seit drei Jahren an der Seite mitwirkt. Entsprechend bescheiden sind denn auch die Ziele der freiwilligen Unterstützer. „Wir würden uns freuen, wenn die Seite in vier Jahren immer noch da ist“, sagt Melican.
Weil der Begriff „Slow“ in aller Regel positiv besetzt ist, hat es durchaus auch Versuche gegeben, ihn zur Umsatzsteigerung einzusetzen - etwa in der Modeindustrie. „„Slow“ ist derzeit ohne Zweifel auch eine Marketingstrategie: Man kann unter diesem Label auch Dinge als neu und trendy verkaufen, die weder neu noch „slow“ sind“, sagt Hartmut Rosa, Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Dass das zu funktionieren scheine, weise auf eine tiefergreifende Sehnsucht der zeitgenössischen Gesellschaft nach sogenannter Entschleunigung hin, sagt Rosa.
Aus Sicht des Soziologen ist es kein Zufall, wenn dabei gerade dem Nahrungsmittelbereich besondere Bedeutung zukommt. „Essen und Trinken sind fundamentale Formen der Weltbeziehung, und in Deutschland sind sie in besonderem Maße unter Zeit- und Kostendruck geraten: Nirgendwo sonst wird relativ zum Einkommen so wenig Geld für Nahrungsmittel ausgegeben“, sagt Rosa.
Lebensmittel seien zu einem „symbolischen Haupt(kampf)feld“ geworden, auf dem viele ein Zeichen für Langsamkeit und Lebensqualität setzen wollten. „Etwa indem sie Slowfood-Restaurants aufsuchen oder sich dezidiert teure Küchen anschaffen und dann aufwendig kochen.“ Nicht selten blieben die teuren Küchen aber die meiste Zeit ungenutzt, während ihre Besitzer weiterhin von Fast Food lebten.