Reproduktionsmedizin: Kinderwunsch auf Eis und Eizelltourismus

München (dpa) - Familie, Job, Karriere, das ist trotz Hilfen oft schwer vereinbar. Eingefrorene Eizellen scheinen die perfekte Lösung; Eizellspenden lassen 60-Jährige Mutter werden. Ethiker sind entsetzt.

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Und die Rechtslage ist ein Dickicht.

Die Geburt der kleinen Louise Brown am 25. Juli 1978 im britischen Oldham war eine Sensation - und schürte Hoffnungen bei unzähligen Paaren mit sehnlichem Kinderwunsch. Louise war das erste in der Retorte gezeugte Baby der Welt. Neun Jahre hatten ihre Eltern auf Nachwuchs gewartet, ehe sie sich auf das Experiment des Medizin-Pioniers Robert Edwards einließen. Er brachte erstmals eine menschliche Ei- und eine Samenzelle in der Petrischale zusammen.

Was vor fast 35 Jahren noch zwiespältige Gefühle entfachte und vielfach Kritik auslöste, ist heute medizinischer Alltag. Gut sechs Millionen Babys sind seither weltweit so entstanden. Von Sonntag bis Mittwoch treffen sich rund 9000 Experten zum Jahreskongress der 1985 von Edwards gegründeten Europäischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin und Embryologie (ESHRE) in München.

Heißes Thema bleibt die in Deutschland verbotene Eizellspende. Für manche Frauen ist die Reise ins Ausland die einzige Chance auf ein Kind. Aber Ärzte, die ihnen helfen, geraten ins Visier der Justiz. Allein in Augsburg läuft ein Verfahren gegen 18 Beschuldigte. In anderen Städten soll es Strafbefehle gegen Ärzte gegeben haben.

Erlaubt ist die Befruchtung im Reagenzglas. Knapp 48 000 Patientinnen wurden laut Deutschem IVF-Register 2012 behandelt, es gab über 10 000 Geburten. Etwa zwei von hundert Kindern werden in Deutschland so gezeugt. Spitzenreiter waren nach ESHRE-Daten von 2009 Dänemark und Slowenien mit 4,5 Prozent.

Wer zu spät dran ist, dem nützt auch die In-Vitro-Fertilisation nur begrenzt. „Man kann sagen, dass im Schnitt die Chance auf eine Schwangerschaft mit 41, 42 Jahren bei 15 Prozent liegt“, sagt Ulrich Hilland, Vorsitzender des Bundesverbandes Reproduktionsmedizinischer Zentren Deutschlands. Mit 44 Jahren liegt sie unter acht Prozent. Viele geben hier auf. Ein Versuch kostet gut 3000 Euro, viele investieren fünfstellige Summen. Und: „Wir sehen auch die Risiken, die bei einer Schwangerschaft ab 40 zunehmen“, sagt die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin, Tina Buchholz.

Trotzdem: Die Praxen sind voll, die Konkurrenz scharf. Berichte über Frauen, die mit 45, 47 oder jenseits der 50 Mutter werden wie Gianna Nannini befeuern falsche Vorstellungen - und bringen Kunden: Es geht ja noch. Dass die allermeisten über 45 vermutlich genetisch nicht die Mütter ihrer Kinder sind, darüber spricht niemand - zumindest nicht in Deutschland. Die Eizellspende ist verboten - die Samenspende ist hingegen gemäß Bundesfinanzhof von 2011 sogar steuerlich absetzbar.

Die Folge: Die heimliche Reise ins Ausland, Schweigen - und im Umfeld freudiges Staunen über das späte Elternglück. Deutsche reisen nach Tschechien und Spanien. Auch Belgien, Holland, Frankreich und Großbritannien erlauben die Spende, mit unterschiedlichen Vorgaben. Den Kindern bleibt je nach Land verwehrt, ihre genetische Herkunft zu erfahren.

Ärzte, die ihren Patientinnen in der Vorbereitungsphase etwa mit Ultraschall helfen, Beraterinnen, die Kliniken empfehlen - sie alle sind in Deutschland von Strafen bedroht. Laut Embryonenschutzgesetz ist die Beihilfe zur Eizellspende strafbar. In Ermittlungsverfahren wurden Patientinnenakten sichergestellt, Frauen zu verstörenden Zeugen-Vernehmungen geladen. Ein Polizist fragte einer Betroffenen zufolge gar am Telefon: „Sind Sie schwanger geworden?“

Viele Mediziner verlangen eine Gesetzesänderung. Das Verbot sei nicht mehr zeitgemäß, sagt Hilland. Auch der Leiter des IVF-Labors an der Universität Erlangen, Ralf Dittrich, ist für die Eizellspende in Deutschland: „Ich sehe keinen Grund, warum man das nicht tun sollte.“

Hans-Peter Eiden, Geschäftsführer des Berufsverbandes Reproduktionsmedizin Bayern und Initiator des Netzwerks Embryonenspende, hält das Verbot der Eizellspende hingegen für richtig. Er warnt vor möglichem Kommerz. Keine Frau nehme die aufwendige Eizell-Entnahme aus altruistischen Gründen auf sich. „Niemand kann mir erzählen, dass eine Eizellspende ohne Gegenleistung funktionieren würde“, sagt er. „Hier geht es nicht um die Patienten, sondern um Kommerz.“ Das wiederum verstoße gegen das Transplantationsgesetz. „Man darf Gewebe nicht kommerzialisieren.“ Folgt man dem Argument, könnte freilich auch manche Samenspende knapp an der Illegalität sein.

Indessen will Eiden Paaren den Weg ebnen zu einer Embryonenspende. Sie bekommen die befruchtete Eizelle eines fremden Paares, das diese nicht mehr braucht. Über die Rechtslage gehen die Ansichten der Ärzte und Juristen bis zum Streit auseinander. Weshalb sich viele Mediziner lieber sogar in Schweigen hüllen, wann sie Zellen einfrieren: Als Vorkern vor der vollständigen Verschmelzung von Ei- und Samenzelle - oder als Embryo. Praktiker sehen keinen großen Unterschied. Ethiker schon.

Jüngster Trend: Mitte 20 eigene Eizellen einfrieren. Der Kinderwunsch auf Eis heißt Social Freezing und scheint die Lösung für die perfekte Familienplanung. Aber es fehlen genaue Werte, wie gut die Zellen nach 20 Jahren noch sind. In der Gesellschaft werde übersehen, dass das Alter um 25 der beste Zeitpunkt zum Kinderkriegen sei, sagt Hilland. „Es ist der Mut, der fehlt. Während des Studiums ein Kind ist aber nicht das Schlechteste. Das krieg man hin, man ist noch jung.“