Saft mit Seele - Kleine Mostereien haben wieder Saison
Klütz (dpa) - Lebensmittelskandale bringen so manchen Verbraucher zur Besinnung: Eigenanbau und Selbstversorgung sind wieder gefragt. Viele Kleingärtner lassen ihr Obst zu Saft pressen - Handwerks-Mostereien haben derzeit Konjunktur.
Eine dunkelhaarige Schönheit hält einen Korb roter Äpfel im Arm, im Dunst dahinter lässt sich Schloss Bothmer von Klütz in Nordwestmecklenburg erahnen. Das exotisch anmutende Bild der Malerin Ana Sojor, Frau des Klützer Mostereibetreibers Johann Volk, ziert die Etiketten auf den Flaschen des neuen Familienbetriebes. Vor allem alte Apfelsorten aus dem Küchengarten des landeseigenen Schlosses würden zu Most gepresst, sagt Volk. „Altländer Pfannkuchen“ oder „Kaiser Wilhelm“, in Bioqualität, naturtrüb, ohne Zusätze. Hotels der Region leckten sich schon die Finger nach dem besonderen Saft, meint der 58-jährige Jungunternehmer.
Als Lohnmoster werde er aber auch den Kleingärtnern der Region die Gartenfrüchte abfüllen, sagt Volk. Bis zu 20 000 Liter Fruchtsaft aus Äpfeln, Birnen, Quitten, Mispeln, Pflaumen, Kirschen und Beeren könne er in der Mosterei, eingerichtet in der alten Molkerei des Städtchens, pro Saison keltern. Künftig wolle er auch Marmeladen kochen, Weine herstellen und Obstschnaps brennen. „Der Bedarf an regionalen Bioprodukten wächst“, meint der Moster von Klütz.
Eigenanbau und Selbstversorgung erleben auch aufgrund vergangener Lebensmittelskandale eine Renaissance, findet Petra Gansen, Sprecherin der Schweriner Handwerkskammer. „Die Leute sind auf der Suche nach Qualität, die aus der Region kommt.“ Viele Verbraucher hätten die Massenwaren aus dem Supermarkt satt, sagt sie. „Sie wollen keine seelenlosen Industrieprodukte mehr auf ihrem Tisch.“ Indizien dafür seien die kleinen Verarbeiter auf dem Lande wie Mostereien, von denen es allein in Westmecklenburg wieder rund ein Dutzend gibt.
Der Trend komme auch der Landschaftspflege zugute, meint Ulf Gritzka-Bergmann vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu). „Die kleinen Handwerks-Mostereien tragen zum Erhalt der seltenen historischen Streuobstwiesen bei.“ Wenn die Leute nämlich wüssten, wohin mit dem Obst, erhöhe das die Motivation zur Pflege alter Baumbestände und Alleen, sagt der Agrarexperte, der eine Mosterei in Schönwolde und mehrere wilde Streuobstwiesen im Biosphärenreservat Schaalsee in Nordwestmecklenburg an der früheren innerdeutschen Grenze bewirtschaftet.
Es gebe immer weniger landschaftsprägende Obstbaumbestände, sagt er. Die meisten seien in den 20er und 30er Jahren gepflanzt worden, sie hätten ihr biologisches Alter erreicht. Zudem stünden im Nordosten alte Obstbäume nicht unter Schutz. Neupflanzungen als Ausgleichsmaßnahmen für Bauprojekte litten häufig unter mangelnder Pflege, kritisiert der Nabu-Experte. Schätzungen gehen von maximal 2000 Hektar Streuobstbeständen in Mecklenburg-Vorpommern und bundesweit von 300 000 Hektar aus.
Der jahrelang ungenutzten, etwas verwilderten Obstwiese von Schloss Bothmer hat sich der Klützer Saftmacher Johann Volk daher gern angenommen, wie er sagt. Die 180 Bäume seien inzwischen ausgeschnitten und mit einem Bio-Siegel zertifiziert, sagt der Mostereigründer. Als Verpackung für seine Gourmet-Säfte verwende er nur umweltfreundliches Mehrweg-Glas. In der Lohnmosterei könne aber auch in Fünf- oder Zehn-Liter-Plastikbeutel abgefüllt werden.
Über immer mehr Kunden freut sich auch Agraringenieur Jochen Schwarz von der Mosterei Kneese am Schaalsee. „Selbstversorgung hat im Nordosten Tradition: Mecklenburger lassen ihr Obst nicht vergammeln.“ Schwarz pflegt 180 alte Obstbäume und zieht in der eigenen Baumschule junge Gehölze in 50 historischen Sorten. Nicht nur den Kleingärtnern der Umgebung presst er die Äpfel aus. Auch Touristen aus Hamburg und Schleswig-Holstein nutzen seine Dienste. „Die verbinden eine Tour durch die Grenzregion gern mit dem Nützlichen und liefern ihre Gartenfrüchte zur Verarbeitung ab.“
Äpfel sind laut Statistik nach wie vor der Deutschen liebstes Obst. 2012 verzehrte jeder Bundesbürger im Schnitt 29,5 Kilogramm der runden Früchte sowie Saft und Mus daraus. Damit entfiel gut ein Viertel des gesamten Obstverbrauchs von 105 Kilogramm pro Kopf auf Äpfel.