Schizophrenie rechtzeitig behandeln
Berlin (dpa/tmn) - Um diese Krankheit ranken sich Mythen und Vorurteile: Bei „Schizophrenie“ denken viele Menschen an unberechenbare Verrückte. Unter Wahnvorstellungen leiden Betroffene aber nur in vorübergehenden Schüben.
Erste Anzeichen treten schon Jahre vorher auf.
Voller Angst sitzt Ines* im Wohnzimmer und zittert am ganzen Körper: Sie wird von jemandem verfolgt, davon ist sie überzeugt. Überall sieht die 17-Jährige Kameras, die sie beobachten. Im Fernseher, hinter den Bildern und unter dem Sofa. „Hast du den Auftrag gegeben, mich umzubringen?“, fragt sie ihre Mutter. Die fährt sie schließlich in ein psychiatrisches Krankenhaus. Diagnose: Schizophrenie.
Sie habe ein Gefühl gehabt, als ob sich der Boden unter ihr geöffnet habe, erinnert sich die Mutter, Janine Berg-Peer vom Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker in Berlin. „Wie man mit der Krankheit umgehen soll, wissen viele nicht. Woher auch?“
In vorübergehend auftretenden Krankheitsschüben, sogenannten Psychosen, verlieren die Betroffenen den Kontakt zur Realität. Sie sehen Dinge, die nicht da sind, fühlen sich fremdgesteuert oder verfallen Wahnideen, sagt Prof. Joachim Klosterkötter vom Kompetenznetz Schizophrenie in Düsseldorf. Ein großer Teil hört Stimmen. „Die Erkrankten projizieren ihre Gedanken nach außen und nehmen diese als fremde Stimmen wahr, die ihr Verhalten abfällig kommentieren oder Befehle erteilen“, erklärt Klosterkötter.
Die Ursachen sind noch weitgehend unbekannt. „Man weiß lediglich, dass der Ausbruch der Krankheit vom Zusammenspiel verschiedener Risikofaktoren abhängt: von einer genetischen Veranlagung, von belastenden Einflüssen aus dem Lebensumfeld und von der persönlichen Fähigkeit, mit Stress umzugehen“, erläutert Prof. Frank Schneider von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde in Berlin.
Betroffene erkranken insbesondere zwischen dem 15. und 35. Lebensjahr. Das Abitur, die Berufswahl oder die erste eigene Wohnung: All das überfordert sie oft. Aber auch ein angespanntes Familienklima kann den Ausbruch begünstigen.
Die Krankheit entwickelt sich schleichend und beginnt nicht mit der ersten Psychose. Schon im Frühstadium fühlen sich Betroffene häufig ungewohnt nervös, traurig oder verzweifelt. Allerdings sind diese Anzeichen recht unspezifisch und werden nicht selten als Depression fehlinterpretiert. Aber es gibt Frühwarnzeichen: „Wenn mich immer wieder gleichgültige Gedanken an der Konzentration hindern, wenn ich selbst banale Alltagssituationen auf mich beziehe und die Farben von Gegenständen plötzlich anders wahrnehme, dann sind das charakteristische Merkmale“, erläutert Klosterkötter.
In Früherkennungszentren versuchen Ärzte und Psychologen durch eigens entwickelte Interviews sowie Aufmerksamkeits- und Konzentrationstests herauszufinden, ob aussagekräftige Symptome bei den Patienten vorliegen. „Damit wollen wir eine möglichst individuelle Risikoeinschätzung vornehmen, um rechtzeitig die notwendigen Behandlungsschritte einzuleiten“, sagt Klosterkötter.
Schizophrenie ist grundsätzlich heilbar. „Doch nur bei etwa 25 Prozent erreichen wir mittelfristig eine vollständige Wiederherstellung der seelischen Gesundheit“, sagt Schneider. Medikamente spielen bei der Therapie eine wichtige Rolle, können aber starke Nebenwirkungen haben. Durch Verhaltens- und Gesprächstherapien können Betroffene und ihre Familien lernen, die Diagnose zu akzeptieren, mit Stress besser umzugehen und Restsymptome in den Alltag zu integrieren.
Ines kann inzwischen mit ihren Krankheitsschüben leben. Sie wohnt alleine und hat eine Ausbildung gemacht. Nun will sie ihr Abitur nachholen.
* Name von der Redaktion geändert.