Selbstgespräche: Laut denkt es sich besser
Das Selbstgespräch hat eine ordnende, klärende Wirkung, und es motiviert. Psychologen raten: Reden Sie nett mit sich!
Düsseldorf. Die Lippen bewegen sich und lassen ein kaum wahrnehmbares Gemurmel hören. Nach der dritten Haltestelle kommt der Platznachbar in der Straßenbahn dann so richtig in Fahrt. Er gestikuliert heftig wie ein Dirigent, dem der Taktstock abhanden gekommen ist.
Kein Zweifel: Hier geigt jemand einem unsichtbaren Gegenüber ordentlich die Meinung. Der seltsame Monolog endet mit einer energischen Handbewegung und einem jetzt gut verständlichen Resümee: „Damit ist ein für allemal Schluss.“
Inzwischen sind die Sitznachbarn in der Bahn spürbar auf Distanz gegangen. Sie werfen sich wissende Blicke zu und jemand raunt: „Der hat sie nicht alle.“ Ob der Amateur-Psychologe mit seiner Diagnose richtig liegt, bleibt dahin gestellt.
Denn: Während man mit Selbstgesprächen in öffentlichen Verkehrsmitteln für seine Mitmenschen schon als dringend therapiebedürftig gilt, finden Millionen nichts dabei, wenn auf dem Tennisplatz Top-Spieler ein ähnliches Verhalten an den Tag legen: Es wird nicht nur gestöhnt, geächzt und geflucht auf den Center Courts. Auch die intensive Selbstbeschimpfung gehört zum Motivationsprogramm.
Als Kostprobe ein O-Ton von Thomas Haas in Melbourne, Januar 2007: „So kannst du nicht gewinnen, Hasi! Das geht nicht. Ich zahle Leute für absolut nichts, nur damit ich mich aufregen kann. Ich habe keinen Bock mehr auf diese Sch . . .“ Und schließlich: „Aber du gewinnst das jetzt . . .“
Gesagt, getan. Tommy Haas konnte jenes Spiel gegen Nikolai Dawidenko, das nicht zuletzt wegen seiner unüberhörbaren Tiraden Schlagzeilen machte, am Ende doch noch gewinnen und ins Halbfinale der Australian Open einziehen.
Wer vernehmbar ausspricht, was ihm gerade durch den Kopf geht, ordnet seine Gedanken, schärft sein Erinnerungsvermögen und redet sich Frust von der Seele, sagt der amerikanische Psychologe Thomas Brinthaupt, der das Phänomen des Selbstgesprächs untersucht hat. 96 Prozent aller Menschen reden nach seiner Analyse von Zeit zu Zeit mit sich selbst — die meisten allerdings immer nur dann, wenn sie sich unbeobachtet fühlen: im Auto etwa oder auf dem stillen Örtchen.
„Denken ist das Selbstgespräch der Seele“, hat der griechische Philosoph Platon erkannt. Eben jenes Reflektieren unserer Situation verläuft nicht immer geradlinig. Der Kommunikationswissenschaftler Friedemann Schulz von Thun spricht von einem „inneren Team“, das die Seelenlandschaft eines jeden Menschen bevölkert.
Da gibt es den Bedenkenträger, den pflichtbewussten Streber, den Faulenzer, den Moralapostel und den Gesundheitsexperten. Auch bei banalsten Alltagsentscheidungen, wenn wir uns etwa fragen, ob wir mit dem Fahrrad oder mit dem Auto ins Büro fahren sollen, müssen die inneren Gegenspieler ihren Senf dazu geben.
Der Moralapostel appelliert ans ökologische Gewissen und empfiehlt das Rad, der Bedenkenträger verweist auf den Regen und die Möglichkeit, sich einen Schnupfen zu holen, der Faulenzer ist sowieso fürs Auto . . . Dirigiert wird das Team der inneren Stimmen von einem Top-Manager, der alle Gesichtspunkte blitzschnell checkt, das stichhaltigste Argument herauspickt — und entscheidet.
Warten schwierige Probleme auf eine Lösung, kann es durchaus sinnvoll sein, über die unterschiedlichen Aspekte laut nachzudenken und Ordnung in die Kakophonie des inneren Chors zu bringen.
Erst recht bei praktischen Aufgaben ist lautes Nachdenken von Vorteil, untermauerten Psychologen der Universität Bamberg. Sie beobachteten Probanden bei der Bewältigung einer komplizierten Konstruktionsaufgabe. Tüftler, die vernehmlich mit sich selbst redeten, kamen wesentlich schneller ans Ziel als die stummen Arbeiter. Allerdings erwiesen sich dabei nur zielgerichtete Äußerungen (etwa: „Wie befestige ich das jetzt?“) als hilfreich. Ständig laut geäußerte Selbstkritik („Mann, bin ich blöd!“) erwies sich als eher kontraproduktiv.
In der Sportpsychologie wird das Selbstgespräch schon lange als Motivationshilfe eingesetzt, und nachweislich hat ein „Du schaffst das locker!“ schon so manchen Hochspringer erfolgreich über die Latte katapultiert.
Der Mensch im Alltag stößt jedoch vor allem Flüche und Verwünschungen aus, wenn er sich von einer Situation überfordert fühlt. Darin sehen Psychologen eine Gefahr, die dem einseitigen Gespräch anhaftet: Wer ständig laut ausspricht, dass er versagt, dass alles unerträglich ist, glaubt schließlich daran. Solche vernehmlichen negativen Einschätzungen können das Selbstbild prägen. Daher der Rat: „Reden Sie nett mit sich selbst.“