Stress lass nach - Die Großstadt kann krank machen
Mannheim (dpa/tmn) - Tempo statt Langeweile, Inspiration und Eindrücke an jeder Ecke: Das Leben in der Stadt kann spannend sein und richtig guttun. Muss es aber nicht: Dass nicht jeder jeden kennt und quasi nie die Bürgersteige hochgeklappt werden, bedeutet auch Lärm, Anonymität und für manch einen Stress.
Das kann zu einer echten Belastung werden.
Unter Städtern sind psychische Erkrankungen häufiger als unter Landbewohnern. „Angsterkrankungen und Depressionen kommen bei Menschen, die in der Stadt leben, etwa 30 bis 40 Prozent häufiger vor“, sagt Prof. Andreas Meyer-Lindenberg vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit an der Universität Mannheim. Was genau am Leben in der Stadt krank macht, erforscht er gerade. Dem Laien fällt auf Anhieb einiges ein, was nerven kann: Lärm, Dreck und Staub, Gerüche, beengte Wohnverhältnisse, Anonymität.
„80 Prozent der Menschen in der Stadt kennen ihre Nachbarn nicht“, erklärt Meyer-Lindenberg. „Dabei ist ein soziales Netzwerk für die psychische Gesundheit eines Menschen sehr wichtig.“ Meyer-Lindenberg und sein Team fanden heraus, dass Stress und Gefühle bei Menschen aus der Großstadt anders verarbeitet werden. Ihr Hirn reagiert deutlich empfindlicher auf Stress als das von Kleinstädtern und erst recht das von Landbewohnern.
Nun wird nicht jeder, der in der Stadt lebt, auch psychisch krank. Ein erhöhtes Risiko hat, wer genetisch oder durch einschneidende psychologische Erlebnisse vorbelastet ist. Auch sind manche Menschen gelassener als andere. Und eine Menge Städter empfinden es gerade als wohltuend, dass in der Stadt immer etwas los ist. Davon können jedoch nur diejenigen profitieren, die sich dem jederzeit entziehen können, erklärt Mazda Adli, Chefarzt der Fliedner Klinik in Berlin und Stressforscher an der Charité.
Die Folgen der Belastung sind offenbar nicht gleich. „Stadtstress ist Kriechstress“, fasst es Adli zusammen. „Er kommt unbemerkt daher.“ Die Belastung zeigt durch eine gereizte Stimmung, durch Angespanntheit und Schlafstörungen, erklärt Iris Hauth vom Alexianer St. Joseph-Krankenhaus Berlin-Weißensee. Wer die Symptome an sich bemerkt, sollte so früh wie möglich gegensteuern. Die erste Maßnahme: Für Ausgleich zu der Anspannung sorgen. Der eine mag Sport, der andere kommt bei Yoga runter. Wohl tut auch ein Ausflug in die Natur.
„Wichtig ist es, einen festen Termin in der Woche für diese Auszeit festzulegen“, rät Hauth. Hilft diese Eigeninitiative nicht, sollte der Hausarzt oder ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie aufgesucht werden. Denn ändert man nichts an den Umständen, ist das Risiko für eine Angststörung oder Depressionen laut Hauth hoch.
Da aber die soziale Isolation einer der entscheidenden Stressfaktoren in der Stadt ist, sollte man das Übel bei der Wurzel packen und unter Leute kommen. Aber: „Wenn man ins Theater oder ins Café geht, kommt man zwar unter Menschen, doch lernt man nicht unbedingt jemanden kennen“, so Hauth. Besser sollte man überlegen, wo man mit Gleichgesinnten Kontakt knüpfen kann. Adli nennt Chor, Lesekreis, Sportverein oder kirchlichen Begegnungsstätten. Am einfachsten, könnte man meinen, wäre der Umzug in ländlichere Gefilde. Allerdings ist auch auf dem Land nicht alles pure Romantik. Besser ist es, sich bewusst zu machen, was die eigenen Bedürfnisse sind — und dann die Stadt neu für sich zu entdecken.