Tausende Patienten werden Opfer von Ärztefehlern
Berlin (dpa) - Falsche Behandlungen, nicht entdeckte Leiden, verkehrte Diagnosen: Das Vertrauen der Kranken in ihre Ärzte stellt sich im Nachhinein tausendfach als ungerechtfertigt heraus. Pfuschen Mediziner, haben die Patienten das Nachsehen.
In 2199 Fällen stellten allein die Gutachterstellen der Ärzteschaft im vergangenen Jahr falsche Diagnosen oder Behandlungen fest. 87 Patienten starben wegen Ärztepfuschs. Mit 11 016 Beschwerden suchten so viele Betroffene wie noch nie Hilfe bei den Gutachterstellen und Schlichtungskommissionen, wie aus der jüngsten Statistik dieser Gremien hervorgeht. Die Bundesärztekammer stellte sie am Dienstag in Berlin vor. In 1821 Fällen wurden die Opfer entschädigt. Doch das Problem ist weit größer.
Ärztepfusch und -fehler werden auch von anderen Stellen verfolgt. Insgesamt beanstanden Patienten nach Schätzungen jährlich in rund 40 000 Fällen ihre Behandlung bei den Schlichtungsstellen sowie Gerichten, dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen und Haftpflichtversicherern. In jedem vierten Fall bekamen sie Recht, sagte der Vorsitzende der Konferenz der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Ärzte, Andreas Crusius.
Die offiziell festgestellten Fälle sind aus Sicht des Bremer Gesundheitsforschers Gerd Glaeske nur „die dramatische Spitze eines Eisbergs“. Viele Patienten gingen nicht gegen ihre Ärzte vor, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. „Im ambulanten Bereich haben wir keine funktionierende Fehlermeldekultur“, sagte er. Unangemeldete Kontrollbesuche in den Praxen könnten helfen.
Das Aktionsbündnis Patientensicherheit geht von rund 500 000 meist leichten Behandlungsfehlern allein in den Kliniken aus. Crusius betonte, bei immerhin 400 Millionen Arzt-Patienten-Kontakten pro Jahr gebe es relativ wenige Fehler.
Verantwortlich sei aber vor allem der zunehmende Druck bei den Ärzten. „Der Patient muss in immer kürzeren Zeiträumen durchgeschleust werden - und da können Fehler passieren“, sagte Crusius. 120 Patienten pro Arzt und Tag seien nicht selten.
Verdacht auf falsche Behandlungen von Knie- und Hüftarthrose ist der häufigste Grund, sich an die Gutachterstellen zu wenden. Echte oder vermeintliche Probleme bei der Behandlung von Brüchen, Bandscheibenschäden und Brustkrebs folgen. Wegen der Verbreitung von Vorsorgeuntersuchungen gingen die Zahlen beim Brustkrebs stark zurück.
Nervenschäden mit Gehbehinderungen, die nach dem Einsetzen künstlicher Gelenke eine erneute Operation nötig machen, zählten ebenso zu den unerwünschten Resultaten von Therapien, wie falsch eingesetzte Prothesen oder Prothesenteile, erläuterte der Geschäftsführer der Schlichtungsstelle der norddeutschen Ärztekammern, Johann Neu.
Bei bis zu 58 Prozent der beanstandeten Behandlungen von Brüchen bei Kindern erkannten die Gutachter einen Fehler an, bei Blinddarmentzündungen waren es mehr als 30 Prozent. Die Gutachter prüften überwiegend Klinikbehandlungen (72 Prozent). Die ärztlichen Kommissionen erkannten 667 Patienten eine Entschädigung wegen Dauerschäden zu.
„Die schneidenden Fächer sind mit an vorderster Front“, sagte Neu, also Unfallchirurgen und Orthopäden, gefolgt von Hausärzten. Nach internistischen Behandlungen meinten die meisten Patienten häufiger, bleibende Leiden lägen an der Krankheit, nicht an der Therapie. Insgesamt lagen die Zahlen bei den anerkannten Ärztefehlern in den vergangenen Jahren etwas unter dem aktuellen Wert.
Die Verfahren der Standesgremien dauerten im Schnitt knapp 15 Monate - vor Gericht können Jahre bis zu einem Urteil vergehen. Neun Prozent der Betroffenen zögen zwar weiter vor Gericht - nur jeder zehnte dieser Fälle werde aber vom Richter anders beurteilt.