Übergewicht: Kinder haben den Sport satt
Deutschlands Kinder werden immer dicker. Doch niemand steuert dagegen.
Köln. Auf dem Bolzplatz Fußball spielen, mit dem Fahrrad durchs Viertel kurven oder mit Freunden herumtoben - diese Art von Freizeitgestaltung steht bei Kindern nur noch selten im Terminkalender. Nach der Schule gilt Computer, Playstation & Co. die ungeteilte Aufmerksamkeit.
"Die körperliche Aktivität von Kindern geht konsequent zurück", schlägt der Trainingswissenschaftler Joachim Mester Alarm. Der Professor am Lehrstuhl für Sportinformatik an der Kölner Sporthochschule erlebt tagtäglich, dass dem Nachwuchs Kernfähigkeiten wie laufen, springen und werfen immer schwerer fallen. "Ein Trend, der seit 25 Jahren zu beobachten ist", so Mester.
Zum Bewegungsmangel gesellt sich eine ungesunde Ernährung. Die Folge: Von den Drei- bis Sechsjährigen in Deutschland leiden bereits zwölf Prozent an Übergewicht oder Fettleibigkeit. Bei den Sieben- bis Zehnjährigen sind es 21 Prozent, bei den 14- bis 17-Jährigen ist mehr als jeder Vierte betroffen.
Die Folgen für die Volkswirtschaft und das Gesundheitssystem sind erheblich. Die Gesellschaft steuert nach Ansicht des Experten sehenden Auges in die Katastrophe. "Ob im Elternhaus, im Kindergarten oder in der Schule - sportliche Betätigung spielt nur eine untergeordnete Rolle." Eine Begründung dafür liefert Mester mit: "Erwachsene haben Angst, dass man Kinder gleich überlastet, wenn sie Sport treiben." Dabei hatte schon die Schulsport-Studie "Sprint" im Jahr 2004 ergeben, dass die meisten Schüler sich mehr Anstrengung und Leistung wünschen. Beides aber wird in der Sportdidaktik seit mehr als einem Jahrzehnt weitgehend tabuisiert.
Nach Ansicht des Wissenschaftlers beginnt der Teufelskreis im Elternhaus. "Dicke Erwachsene bekommen dicke Kinder. Daraus werden dicke Erwachsene." Um den Kreislauf zu durchbrechen, müssten Eltern "direkt nach der Geburt" damit beginnen, den natürlichen Bewegungsdrang des Kindes zuzulassen - damit es koordinative und sportmotorische Fertigkeiten erlernen kann.
Ebenso wichtig sei es, Erzieher und Lehrer richtig auszubilden. Es gehe nicht an, dass Sportunterricht vielfach von fachfremden Lehrkräften erteilt werde. Oder der Sportunterricht das erste Fach sei, das ausfalle, wenn an anderer Stelle Not am Mann sei. "Wir werden das Problem noch verschärfen, wenn dem Sport weiter kein Wert beigemessen wird", warnt Mester. Vorbild seien - wie überhaupt im Bildungsbereich - die skandinavischen Länder. "Sie stellen das Individuum in den Mittelpunkt und fördern es entsprechend."
In deutschen Schulen wird dicken Kindern der Spaß am Sport genommen, weil sie nicht mithalten können und die Noten entsprechend schlecht ausfallen. Ein Problem, das sich laut Mester schnell lösen lässt. "So wie bei einem sportlichen Jungen seine Leistung benotet wird, müsste bei einem übergewichtigen Kind honoriert werden, dass es in einer bestimmten Zeit eine bestimmte Zahl von Kilos abnimmt."