Umdenken auf Intensivstationen: Weniger Stress für Patienten
Münster (dpa) - Es piept, es rattert, Schläuche hängen zwischen Bett und Wand. Ein zweiter Schwerstkranker liegt nur wenige Meter entfernt im gleichen Zimmer, abgetrennt mit einer Stoffwand.
Intensiv-Patient schaut auf Intensiv-Patient, Krankenschwestern gehen rein und raus. Da soll man gesund werden? Eine Tür weiter hat die Uniklinik Münster ein neues Raumkonzept umgesetzt.
Für 85 000 Euro wurden zwei Zimmer umgebaut. Von der Decke leuchtet nun kurzwelliges Licht, um Sonnenschein zu simulieren. Der Raum ist in Gelb- und Orange-Tönen gehalten, der Patient schaut auf eine Multimedia-Wand. Je nach Stimmung können Fotos von der Familie des Kranken oder aber beruhigende Wellen am Strand eingespielt werden.
Das Ambiente sieht eher nach Hotel, Erholung und Wellness aus. Wenn da nicht - versteckt hinter einer Wandvertäfelung - auch viele Anschlüsse für Computer, Sauerstoff und Medikamenten-Pumpen in Griffweite wären.
Luxus-Schnickschnack für Kranke? Die Uniklinik in Münster probiert neu aus, was in der Berliner Charité schon seit rund 18 Monaten getestet wird: Einen sogenannten „Adaptive Healing Room“. Bei dem Konzept steht der Patient im Vordergrund, nicht die medizinische Betreuung. „Uns geht es speziell um Patienten, die ein hohes Risiko tragen, ein sogenanntes Delir zu entwickeln“, sagt Prof. Hugo Van Aken. Nach Angaben des Direktors der Klinik für operative Intensivmedizin in Münster betrifft dies 20 Prozent aller Patienten, bei den über 65-Jährigen sogar fast die Hälfte.
Zum sogenannten Delir komme es als Folge der ständigen Unruhe und Geräuschkulisse. Viele Patienten reden Unsinn, fallen aus dem Bett und sind für Angehörige und Pflegepersonal eine zusätzliche Belastung. Wissenschaftlich nachgewiesen sei, so Prof. Björn Ellger aus Münster, dass diese Kranken schlechtere Aussichten auf Heilung hätten.
Und hier kommt die wirtschaftliche Komponente ins Spiel. Patienten mit Delir liegen mehr als doppelt so lange im teuren Intensivbett wie andere Kranke. Sollte sich das mit dem neuee Raum-Konzept ändern, wäre das Geld gut investiert. Die Uniklinik will das Projekt wissenschaftlich begleiten. Bei positivem Ausgang könnte ein geplanter Neubau für die Intensivmedizin entsprechend gestaltet werden.
Dass auf Intensivstationen Geräuschkulissen wie an Straßen herrschen, bestätigt Prof. Uwe Janssens von der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin. „85 Dezibel sind da möglich“, sagt Janssens. Straßenlärm aus fünf Metern Entfernung hat 80, ein Dieselmotor 90 Dezibel. „Ich wundere mich, dass wir dieses Thema nicht schon früher angepackt haben“, sagt der Mediziner der dpa.
Janssens begrüßt die neuen Modelle. Mit Fakten sei zwar bisher nicht zu belegen, dass durch ein verbessertes Umfeld Patienten länger leben. Aber das Lärm und Stress nicht positiv wirken, sei klar. „Wer Lärm reduziert, erhöht automatisch die Sicherheit“, sagt Janssens. Ökonomische Zwänge aber machten gerade kleineren Häusern das Umsteuern fast unmöglich.
Wie Janssens verweist die Uniklinik Köln aber auch auf die hohe Versorgungsdichte auf Intensivstationen. Die Belastung zurückzufahren sei schwer. Prof. Bernd Böttiger, Direktor für Operative Intensivmedizin in Köln, zählt Maßnahmen auf, die schon vor längerem getroffen wurden: Große Fenster lassen die Patienten auf Kirschbäume schauen, oder nachts gehe das Pflegepersonal nur mit Taschenlampen in die Zimmer. „So etwas wie in Münster haben wir aktuell nicht vor, aber das Ambiente ist natürlich für Patienten positiv oder negativ stimulierend. Auch Patienten ohne Bewusstsein bekommen alles mit. Das hat Auswirkungen auf die Entwicklung und Heilung“, sagt Böttiger.
Nach Auskunft einer Sprecherin der Uniklinik Aachen ist das Konzept „Adapative Healing Rooms“ dort noch kein Thema. Bei der Planung für einen Neubau könnte sich dies aber ändern.