Viele Operationen unnötig
Deutsche Patienten tragen weit mehr künstliche Gelenke im Körper als andere Europäer. Die AOK schlägt Alarm.
Berlin. Deutschlands Kliniken haben 2011 so viele Patienten behandelt wie noch nie. Doch viele kommen unnötig unters Messer. Die Zahl der Behandlungen stieg laut AOK-Krankenhausreport innerhalb von fünf Jahren um 1,5 Millionen auf 18,3 Millionen — Rekord. Operationen würden oft nur erbracht, damit die Kliniken ihre Einnahmen verbesserten, kritisierten der AOK-Bundesverband und das Wissenschaftliche Institut der AOK.
Allein 2011 kamen 300 000 Behandlungen dazu. Nur jede dritte OP sei durch das Älterwerden der Gesellschaft erklärbar. Die Hälfte des Zuwachses entfällt auf Leiden des Muskel-Skelett- und Kreislaufsystems sowie der Harnorgane. Besonders drastisch: Die Zahl der Wirbelsäulenoperationen hat sich bei AOK-Versicherten zwischen 2005 und 2010 mehr als verdoppelt.
Es gebe dort starke Zuwächse, wo die Eingriffe Gewinn versprächen, sagte Instituts-Geschäftsführer Jürgen Klauber. Beim Einsatz künstlicher Hüft- und Kniegelenke liege Deutschland europaweit an der Spitze. Ein Plus von 25 Prozent habe es binnen zwei Jahren bei der Implantation kleiner Defibrillatoren bei Herzpatienten gegeben.
Es gebe große regionale Unterschiede, so Klauber. „Wir haben im Kreis Höxter viermal so viele Eingriffe wie in Nürnberg.“ Wie Patienten zu Eingriffen gedrängt werden, könne aber nicht gesagt werden. Die Klinikausgaben der Kassen stiegen 2011 um zwei auf 60,8 Milliarden Euro.
„Den ökonomischen Fehlanreizen kommt eine gewichtige Rolle zu“, sagte Fritz Uwe Niethard von der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie. So bringe eine typische Wirbelsäulen-OP einer Klinik 12 000 Euro ein. Dafür könnten 100 Jahre Behandlung ohne OP bezahlt werden.
AOK-Vorstand Uwe Deh machte zudem Chefarzt-Boni für mehr Menge verantwortlich. Er kritisierte, viele kleine Kliniken profilierten sich durch ein großes Angebot. Es tobten Verteilungskämpfe.
Die Klinken versuchten, Zweifel zu zerstreuen. Eine Untersuchung im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft kommt zu dem Ergebnis, dass der Anstieg vom medizinischen Fortschritt und der wachsenden Zahl Älterer herrühre. „Eine generelle Diffamierung der Krankenhausmitarbeiter“ sei zurückzuweisen, hieß es.