Wenn Stress auf den Magen schlägt
Gießen (dpa/tmn) - Manche Situationen stressen Menschen so, dass ihnen übel wird oder sie dringend aufs Klo müssen. Wer weiß, wann das bei ihm der Fall ist, kann versuchen, die Belastung zu vermeiden oder sein Verdauungssystem robuster zu machen.
Ein Bewerbungsgespräch steht an, ein Abgabetermin rückt näher oder die Schwiegereltern haben ihren Besuch angesagt: Und schon grummelt es im Bauch. Der eine reagiert mit leichter Übelkeit auf solche Stresssituationen, der andere könnte pausenlos zur Toilette rennen. Fest steht: Zwischen Gehirn und Verdauungsorganen gibt es einen heißen Draht.
Die Brücke des Gehirns zum Körper ist das Zwischenhirn, das alle Hormone dirigiert. „Wenn beispielsweise jemandem, der Angst hat vor Hunden, ein sehr großer schwarzer Hund entgegen kommt, dann löst das im Gehirn aus: "Oh, Flucht! Oh, Stress!"“, sagt Prof. Peter Falkai von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde. „Das meldet das Zwischenhirn an die Nebenniere.“ Die setze sofort eine große Menge des Stresshormons Cortisol frei. „Und das sorgt dann dafür, dass die Atmung beschleunigt wird, das Herz schneller schlägt, die Muskulatur durchblutet wird.“ Der Körper werde damit vorbereitet nach der Devise „zuhauen oder abhauen“.
Für diese Abwehrbereitschaft brauchen Herz, Lunge und Muskeln Energiereserven, die aus dem Magen-Darm-Trakt abgezogen werden. „Unsere Verdauungsprozesse kosten sehr viel Energie, benötigen viel Sauerstoff und Blut. In Belastungssituationen ist das unproduktiv“, sagt Paul Enck, Professor für psychosomatische Medizin am Universitätsklinikum Tübingen. Sie stellen dann ihre reguläre Tätigkeit ein und transportieren die Nahrung nicht mehr weiter. In einer milden Form löst das Bauchdrücken und Übelkeit aus, im Extremfall will der Körper die Nahrungsreste schnellstmöglich loswerden - durch Erbrechen oder Durchfall.
Warum Menschen unterschiedlich auf Belastungen reagieren, ist wissenschaftlich nicht abschließend geklärt. Es gibt aber verschiedene Erklärungsmuster. „Die unterschiedliche Sensibilität für Stress ist zum Teil angeboren, zum Teil aber auch erworben“, sagt Falkai. Wer in früher Kindheit viel Zuwendung erfahren habe, sei stressresistenter als Menschen, bei denen das nicht der Fall war. Außerdem spiele der eigene Umgang mit den Beschwerden für ihre Intensität eine Rolle. „Körperliche Stressreaktionen verstärken sich, wenn die Betroffenen sie als Katastrophe wahrnehmen.“
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, auf das Maß der körperlichen Reaktionen einzuwirken. „Man kann vor dem Verlassen des Hauses noch mal in Ruhe zur Toilette gehen, und man kann das Essen unterlassen oder auch versuchen, bestimmte Essgewohnheiten zu verändern“, schlägt Enck vor. Magen und Darm werden durch kleine Mahlzeiten mit wenig Fett und Ballaststoffen wenig belastet. „Diese Inhaltsstoffe werden besonders langsam verdaut. Entsprechend bereiten sie vermehrt Probleme, wenn der Körper sie rasch loswerden will.“
Bei besonders empfindlichen Menschen werden starke psychische Belastungen dennoch auf die Verdauung durchschlagen. „In Akutsituationen zum Beispiel vor einer Prüfung oder bei Reisefieber können Bauchpatienten auch über vorbeugende Medikamente nachdenken“, rät Falkai.
Ansatzpunkt Nummer zwei ist das Stressniveau: Wer ständig unter Strom steht, dem gibt eine Akutsituation den Rest. Die Gefahr lässt sich reduzieren, indem die Allgemeinbelastung verringert wird, etwa durch Entspannungsübungen. „Viele Leute sind die besten Therapeuten: Sie wissen, was ihnen gut tut. Das können sie beherzigen, um ihr generelles Stressniveau zu reduzieren.“
Der dritte Weg setzt darauf, dass Körperreaktionen in begrenztem Maße trainierbar sind. „Möglicherweise kann man durch wiederkehrende Reizsituationen einen gewissen Gewöhnungseffekt erreichen“, sagt Prof. Joachim Erckenbrecht von der Gastro-Liga in Gießen. Das heißt: Wer Prüfungssituationen simuliert, übt nicht nur, sondern härtet sich möglicherweise auch ab.