Zähneknirschen als Volkskrankheit - Oft sind die Gefühle schuld

Berlin/Düsseldorf (dpa/tmn) - Jeder Zehnte leidet an krankhaftem Zähneknirschen. Zahnschmelz, Kiefergelenke und -muskeln werden beeinträchtigt, sogar Ohrgeräusche und Rückenschmerzen können die Folge sein.

Als wesentliche Ursache gilt Stress.

Meistens passiert es nachts im Schlaf, aber auch in monotonen Alltagssituationen: Menschen knirschen mit den Zähnen. Jeder zweite Deutsche hat diese Angewohnheit zumindest zeitweise im Leben, schätzt die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) in Berlin. Häufig hört das Phänomen von allein wieder auf. „Bei einem Fünftel kommt es allerdings zu einem dauerhaften Aufeinanderpressen oder Reiben der Ober- und Unterkieferzähne mit problematischen Folgen“, sagt BZÄK-Vizepräsident Prof. Dietmar Oesterreich. Insgesamt leidet also jeder zehnte Deutsche an krankhaftem Zähneknirschen - Mediziner bezeichnen das als Bruxismus.

Dabei werden enorme Kräfte im Mund freigesetzt. Der Zahnschmelz, die härteste Substanz des menschlichen Körpers, wird dadurch stark beschädigt. Die Auswirkungen reichen von glatt polierten Flächen über Absplitterungen und Risse bis hin zu lockeren und stark abgeriebenen Zähnen, bei denen der Zahnnerv nur noch von einer dünnen Schicht überdeckt ist. „Durch das Pressen und Knirschen wird zudem die Kaumuskulatur stark angespannt, überlastet und kann punktuelle oder diffuse Schmerzen verursachen“, erklärt Oliver Ahlers von der Deutschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie. Schmerzen im Kiefergelenk sind möglich, aber auch in der Kopf-, Nacken, Schulter-, Rücken- und Beckenmuskulatur. Tinnitus und Sehstörungen sind manchmal ebenfalls Begleiterscheinungen.

Die Ursachen von Bruxismus sind vielfältig. „Stress gilt aber als wesentlicher Faktor. Man spricht hierbei von einer psychosomatischen Erkrankung“, sagt Oesterreich. Vermutlich lassen unterdrückte Gefühle, Ängste, Alltagsprobleme oder einschneidende Lebensereignisse Betroffene häufig knirschen. „Das Gebisssystem dient dabei als emotionales Entlastungsventil“, ergänzt Ahlers. Daneben können auch falsch stehende Zähne, nicht passende Kronen oder Füllungen sowie orthopädische Gründe in Zähneknirschen münden. Weil es meistens unbewusst stattfindet, ist ein frühes Erkennen schwierig. „Nachts bekommt das Knirschen häufig nur der Bettnachbar mit“, sagt Hans-Jürgen Korn von der Deutschen Gesellschaft für Biofeedback.

Lautet die Diagnose Bruxismus, bekommt der Betroffene meistens eine Zahnschiene. „Einfache Knirscherschienen zielen lediglich darauf ab, den Verlust weiterer Zahnhartsubstanz zu stoppen“, erklärt Ahlers. Aufbissbehelfe ohne adjustierte Zahnkontakte sollen Betroffenen beim Knirschen ein unerwartetes Hindernis sein und dadurch Ober- und Unterkiefer auseinanderbringen. Eine aufwendig konstruierte Okklusionsschiene stellt zusätzlich eine Kieferposition ein, die den Unterkiefer stabilisiert und die Kaumuskeln entlastet.

Allerdings stellt sich bei psychisch begründetem Bruxismus die Frage, inwiefern der Zahnarzt überhaupt helfen kann. „Er kann die akuten Schmerzen und Symptome lindern, aber den Stress nimmt der Zahnarzt den Patienten nicht“, betont Oesterreich.

Eine Möglichkeit, sich sein Knirschen und Pressen bewusst zu machen, ist das sogenannte Biofeedback. Dabei wird ein Sensor, der die Muskelanspannungen misst, auf die Kaumuskeln geklebt. „Wenn es sich nicht lediglich um kurze Schluckbewegungen handelt, werden sie dem Betroffenen durch einen Warnton rückgemeldet“, erläutert Korn. „Dadurch kann die eigene Körperwahrnehmung gestärkt werden, um besser zu merken, in welchen Situationen man auf Stress mit einer Anspannung reagiert.“ Außerdem müssten Betroffene durch Entspannungsübungen lernen, den Kiefer locker zu lassen: die Backenzähne berühren sich nicht, der Mund ist geschlossen und die Zungenspitze ruht hinter der oberen Zahnreihe. Entscheidend sei, dass sie im Alltag immer wieder kurz überprüfen, ob sie eine solche Kieferhaltung eingenommen haben.