Die neue Schlichtheit — Japanische Ästhetik zieht ein
Tokio (dpa/tmn) - Die Devise „Weniger ist mehr“ ist nicht gerade neu im Design. Aber Mies van der Rohes Motto gilt im Moment als das Maß aller Dinge, wenn es um die reduzierte Ästhetik Möbel und Accessoires geht.
Auch Japan tut sich mit einem puristischen Stil hervor.
Japaner nehmen traditionell nicht allzu wichtig, was im Rest der Welt passiert. Und so wurden Produkte stets für den eigenen Markt konzipiert, die Unabhängigkeit der Kultur gegen äußere Einflüsse geschützt. Diese japanische Eigenheit hat ihren Reiz.
„Wir haben keine so lange Tradition, was die Gestaltung von Möbeln angeht“, sagt der Möbeldesigner Toru Shimizu vom Label Monokraft aus Tokio. „Erst vor rund 130 Jahren, als Bilder des Kaisers auf einem Stuhl die Runde machten, kamen solche westlichen Möbel sehr, sehr langsam in Mode.“ Er konzentriert sich ganz auf Vollholzmöbel ohne Schrauben oder andere Metallverbindungen. „Bei uns ist die Luftfeuchtigkeit manchmal sehr hoch, da würde das Holz rund um das Metall reißen oder sich aufbiegen“, erklärt er.
Auch Woodwork stellt Holzmöbel von geradliniger Schlichtheit her. Man könnte die Entwürfe als skandinavisches Design verorten, wären die Proportionen nicht andere: Asiaten sind im Schnitt zehn Zentimeter kleiner als Europäer, und so liegt die Tischhöhe rund 10 Zentimeter unter den in Deutschland gängigen 76 Zentimetern.
Zu den gefragtesten Protagonisten der internationalen Designszene zählt Oki Sato und sein Studio Nendo, was im Japanischen so viel wie Knete bedeutet. Es soll vermitteln, dass man mit Nendo alles formen kann. Bittet man den 37-Jährigen, um eine Einschätzung, worin der Reiz der japanischen Ästhetik liegt, so sagt er: „Ich bin mir nicht sicher, aber japanisches Design wird oft als einfach und funktional bezeichnet. Und als eine ästhetische Formsprache, die Spaß macht.“
Und das Geheimnis seines Erfolges? „Für mich sind frische Ideen und die Geschichte, die hinter der Form steckt, immer am wichtigsten. Vielleicht entsteht dadurch der Eindruck von Poesie.“ Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Seine Farmin-Net-Leuchten (Carpenters Workshop Paris) sind aus Netzen, die in der Landwirtschaft benutzt werden. Die Schalen Bottleware werden aus recycelten Cola-Flaschen hergestellt.
Einer, für den Nachhaltigkeit und die damit verbundene ästhetische Reduktion von Produkten das Thema ist, ist Petter Neby. Der Norweger, der 2008 das Unternehmen Punkt für Haushaltsgeräte gründete, weil er auf der Suche nach einem Wecker verzweifelte, sagt: „Ich denke, einer der drängendsten Punkte im Design heute ist die Frage, was wir wirklich um uns herum brauchen. In diesem Zusammenhang kann die ästhetische Qualität eines Produktes eine Rolle spielen, die Lebensqualität zu verbessern.“
Punkt arbeitet mit dem britischen Designer Jasper Morrison zusammen, der schon seit Jahrzehnten immer wieder in Japan tätig ist oder mit japanischen Firmen kooperiert. In den vergangenen sechs Jahren haben es bei Punkt nur drei Produkte geschafft, realisiert zu werden: Der Wecker AC 01, das Telefon DP 01 und die Mehrfachsteckdose ES 01 — in den Farben Schwarz, Rot und Weiß. Nur den Wecker gibt es noch in Silber. „Wir sollten dazu zurückkehren, Produkte zu benutzen und uns nicht von ihnen benutzen zu lassen“, sagt Neby. „Insofern sehe ich den ultimativen Nutzen von Reduktion im Design für den Konsumenten.“
Ein deutscher Designer, der sich mit fernöstlicher Ästhetik im Design befasst, ist Carsten Gollnick. Sein Geschirr, Besteck und seine edlen Holzkästchen vereinen maximale Schlichtheit mit maximaler Ästhetik. Für das Holzgefäß-Set Engawa hat er sich von den in Zen-Klöstern immer noch gebräuchlichen Essschalen inspirieren lassen. Jeder Mönch hat ein Set von nur vier ineinander passenden Schalen. Der Begriff dafür, Oryoki, bedeutet „das, was gerade genug enthält“. „Die Reduziertheit und meditative Kraft des gedrechselten Holzes, kombiniert mit der Vielfältigkeit im Gebrauch, hat mich bei diesem Thema interessiert“, sagt Gollnick.
Die Grundprinzipien der asiatischen Kultur sind Ausgeglichenheit und Harmonie, umgesetzt werden sie durch klares Design, perfekt aufeinander abgestimmte Materialien und Formen. Um es mit Petter Nebys Worten zu sagen: „Es geht nicht darum, irgendetwas schön zu machen, sondern den Dingen eine Bedeutung zu geben.“