Landflucht Auch Städten lebende Wildtiere bleiben Wildtiere

Frankfurt/Main (dpa/lhe) - Die Wildschweine durchbrachen unbemerkt den Maschendrahtzaun zu einem Fußballplatz. Offenbar auf Futtersuche wühlten sie ihn um und hinterließen dem Sportverein „SSC Juno Burg“ im mittelhessischen Herborn eine matschige Brache.

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„Die Tiere haben den Rasen umgegraben wie einen Kartoffelacker“, berichtet Hauptkassierer Karl-Heinz Woyczyk. Trainieren können die Kicker auf ihrem Platz nun erst einmal nicht mehr. Ein ungewöhnlicher Fall - aber längst nicht der einzige, wo Mensch und Wildtier in Konflikt geraten.

Immer mehr wildlebende Tiere verirren sich in die Städte, wie Naturschützer beobachten. „Der Trend, dass Wildtiere in die Grüngürtel der Städte ziehen, ist in den letzten 50 Jahren gestiegen“, berichtet Berthold Langenhorst, der Sprecher des Naturschutzbundes Hessen (Nabu). Wegen der zunehmenden Industrialisierung werden zum einen Lebensräume der Tiere zugebaut. Zum anderen finden die Tiere in Städten teilweise leichter Nahrung, wie er erklärt. Schließlich stehen dort an jeder Ecke Mülltonnen oder Sträucher.

Eine weitere Ursache sei die schwindende Strukturvielfalt. Eintönige Landschaften lösen das Nebeneinander von Wiesen, Wäldern, Gebüschen und Gewässern ab. „Dadurch gibt es weniger Versteckmöglichkeiten für die Wildtiere“, erklärt Langenhorst. Umso attraktiver und verlockender erscheinen dann die gepflegten Hecken und Sträucher in den städtischen Vorgärten. Diese nutzen die Wildtiere jedoch nicht nur zum Verstecken, sondern auch, um ihre Jungen zur Welt zu bringen.

Das Nutznießen der Wildtiere, insbesondere das der Wildschweine, geht meist noch weiter: Auf der Suche nach Nahrung verwandeln sie den Garten oder eben einen Fußballplatz in einen Acker. Das erfolge aber nicht mit Absicht, wie Langenhorst versichert: „Im Winter herrscht Nahrungsknappheit. Durch das Umgraben erhoffen sie sich ein paar Regenwürmer oder andere Insekten.“

Genaue Daten über die Anzahl der Wildtiere in den Städten gibt es nicht - nur grobe Schätzungen und Tendenzen. So mutiert das nordhessische Kassel immer mehr zur inoffiziellen Hochburg der Waschbären. Die Säugetiere sehen zwar putzig aus, treiben aber mittlerweile in fast allen Stadtteilen ihr Unwesen. Im April vergangenen Jahres rückte sogar die Polizei aus. Ein Bewohner alarmierte die Beamten, als er bei seiner Heimkehr ein verwüstetes Wohnzimmer vorfand. Der vermeintliche Einbrecher entpuppte sich als ein Waschbär, der sich widerstandslos einfangen ließ.

Wildschweine pflügen immer mal wieder einen Teil der Grünflächen im Bergpark Wilhelmshöhe um. „Das ist normal zur Jahreszeit, da die Wildschweine lange Strecken bei der Futtersuche zurücklegen. Zudem ist der Park nicht eingegrenzt“, teilt eine Sprecherin der Museumslandschaft Hessen Kassel mit. Bis zum nächsten Frühjahr sollen die Verwüstungen beseitigt sein.

In Frankfurt dagegen seien Wildtiere so gut wie nie anzutreffen, berichtet ein Sprecher des städtischen Veterinärwesens. Sie hielten sich meistens im angrenzenden Stadtwald auf. „Der Wald ist durch die Autobahn und die eng besiedelte Stadt eingegrenzt, so dass selten Tiere bis ins Zentrum kommen“, sagt der Sprecher.

Aber auch in den waldnahen Stadtteilen Schwanheim und Goldstein brechen die Wildschweine bisweilen den Boden in Vorgärten auf. Auch treiben sich Wildkaninchen in vielen Frankfurter Parks herum. Sie unterhöhlen Anlagen und durchbrechen Blumenbeete.

In Offenbach ereignete sich am vergangenen Heiligabend ein kurioses Zusammentreffen: Dort verschaffte sich ein Wildschwein Zutritt in ein Mehrfamilienhaus und spazierte bis in den dritten Stock. Die Bewohner alarmierten die Polizei. Der Schwarzkittel flüchtete nach dem Einsatz der Beamten in den angrenzenden Wald.

Wichtig beim Zusammentreffen mit Wildtieren ist vor allem das Verhalten der Menschen: „Man muss akzeptieren, dass es Wildtiere sind und bleiben“, betont Langenhorst. „Viele neigen dazu, sie anzufüttern und wie Haustiere zu behandeln.“ Das Tückische: Die Wildtiere sehen den Menschen nicht unbedingt als Gefahr an. Erst wenn dieser ihm zu Nahe kommt und die Fluchtdistanz minimiert, greifen die Tiere an.

Eine weitere Vorsichtsmaßnahme betrifft vor allem Hausbesitzer: Lebensmittelabfälle auf dem Komposthaufen oder Katzenfutter im Garten sollten vermieden werden, da diese eine Lockwirkung hätten, wie Markus Stifter vom Landesjägerverband Hessen erklärt. Vor Tollwut muss sich zumindest niemand fürchten: Die Viruskrankheit gilt in Deutschland seit 2008 als ausgerottet.

Obwohl es selten zu gefährlichen Zusammentreffen mit Wildtieren kommt, freut sich nicht jeder über ihre Anwesenheit. In manchen Fällen stören sie so massiv, dass die Stadtjäger ausrücken. Im vergangenen Jahr wurden im Brentanobad in Frankfurt die ersten Nilgänse geschossen. Schwimmbadbesucher störten sich vor allem am Kot, den die Nilgänse auf der Wiese hinterließen.

Der Herborner Sportverein „SSC Juno Burg“ wird noch lange die Folgen der Wildschwein-Invasion spüren. Die Tiere richteten nicht nur einen Schaden zwischen geschätzten 115 000 bis 120 000 Euro an, weswegen der Club nun Spender sucht. Auf dem Fußballplatz kann dem Verein zufolge frühestens im August, vielleicht auch erst 2019 wieder gekickt werden.