Fast jeden Tag ein frisches Ei: Hühner in der Stadt halten
Bremen (dpa) - Es gackert und kräht in der Stadt. Mehr Menschen halten wieder Hühner in ihrem eigenen Garten. Dass das Frühstücksei von einem glücklichen Huhn stammt, ist damit garantiert - dass es täglich frisch auf den Tisch kommt nicht.
Die Natur ist eben launisch.
Aufgeregt gackernd machen sich Odetta und Susanna über das matschige Weißbrot her. „Da sind die ganz wild drauf“, sagt Maren Hofmann. Gierig picken die beiden schwarzen Hennen die Leckerbissen aus ihrer Hand. Hahn Dude schaut neugierig vom Komposthaufen herüber. Ein lautes Krähen, dann weiß die ganze Hühnerschar Bescheid: Es gibt Futter. Landidylle pur - nur dass diese mitten in der Stadt liegt.
Seit fast zehn Jahren hält Hofmann Hühner in ihrem Garten in Delmenhorst, einer 73 000-Einwohner-Stadt in Bremens Speckgürtel. Direkt an das Gehege hinter Hofmanns Haus grenzen rechts und links die Nachbargrundstücke. Auf der einen Seite des Zauns toben Kinder auf dem Rasen, bei Hofmann scharren die Hühner. „Ich kaufe nie Eier im Supermarkt“, sagt die 49-Jährige.
Lebensmittelskandale wie Dioxin in Eiern oder Etikettenschwindel bei Bio können sie deshalb nicht erschüttern. Sie weiß ganz genau, was ihre Hühner fressen und dass die Eier auf ihrem Frühstückstisch von glücklichen Tieren stammen. „Ich möchte nicht, dass ein Tier für meine Bedürfnisse ausgenutzt wird“, betont Hofmann und streicht energisch ihre dunklen Locken aus dem Gesicht zurück.
So wie sie denken viele Verbraucher. Nicht nur die Zahl der Vegetarier, Veganer und Bio-Verfechter steigt seit Jahren. Es halten auch wieder mehr Menschen Hühner in ihrem eigenen Garten. „Die Leute interessieren sich wieder zunehmend dafür“, sagt Elke Bretzigheimer vom Bund Deutscher Rassegeflügelzüchter. Damit wird wieder modern, was zu Oma und Opas Zeiten noch weit verbreitet war, mit der Technologisierung ab den 70er Jahren aber als rückständig galt.
Ein typisches Krisenphänomen, meint der Hamburger Trendforscher Peter Wippermann. „Wir fühlen uns autarker, wenn wir es wieder wie unsere Großeltern machen - also Gemüse selbst anbauen und Tiere halten.“ Hochglanz-Magazine befeuern diese Sehnsucht, indem sie das Landleben idealisieren. „Sie spinnen eine Utopie, die aber die wenigsten umsetzen“, erläutert Wippermann.
Von den eigenen Hühnern träumen vielleicht viele. Wenn es darum geht, wirklich welche zu halten, scheitert es dann oft am Platz. Wer hat in der Stadt schon einen ausreichend großen Garten? Wobei: Für private Halter gelten nach Angaben des Geflügelzüchterbunds die gleichen Vorschriften wie für die Industrie. Danach reichen je nach Haltungsform 250 bis 900 Quadratzentimeter pro Henne. Ob Hofmann sich daran hält, haben die Behörden noch nie kontrolliert. Ein geräumiges Gehege ist für sie jedoch selbstverständlich.
Hahn Dude und seine 16 Hühner können im hinteren Teil des Gartens überall herumlaufen, zwischen Büschen nach Würmern suchen und im Hühnerhaus in aller Ruhe ihre Eier legen. Vorsichtig öffnet Hofmann jetzt die Tür. Maria und Muffin sitzen entspannt in zwei mit Stroh gepolsterten Kisten. „Mal schauen, ob sie schon Eier gelegt haben.“ Doch es dauert noch etwas. Im Frühjahr und Sommer liefern die Hennen täglich oder jeden zweiten Tag ein frisches Ei, in der kalten Jahreszeit manchmal tagelang gar nicht.
Hochleistungshühner sind auch die von Olaf Dinné nicht. Seine großen Hennen legen zurzeit zwar täglich zwei Eier, die jungen dafür aber gar keine. Verzichten will der 79-Jährige trotzdem nicht auf die gackernde Schar. „Sie machen nur wenig Arbeit. Die Eier sind also leicht verdient.“ Dabei isst er selbst noch nicht einmal Eier. Dafür freuen sich seine Mitbewohner in der Hausgemeinschaft. Stress hat Dinné wegen seiner Hühner trotzdem - mit seinen Nachbarn auf Stadtwerder, einer Weser-Halbinsel in der Bremer Innenstadt.
Der Grund wird schnell deutlich: Aus vollem Halse kräht der Hahn - ein kapitales Tier, das Dinné einfach Gockel getauft hat - seine Henne zur Ordnung. Und das in regelmäßigen Abständen, bis er schlafen geht. Gerade morgens sind die Nachbarn darüber wenig begeistert. Man habe sich aber miteinander arrangiert, meint Dinné. Hofmann hat da mehr Glück. Ihre Nachbarn in Delmenhorst haben sich in all den Jahren nicht einmal beschwert. „Die haben halt ihre Kinder, die laut schreien. Wir unsere Hühner.“