Freie Wisente in Deutschland - Tiere zeigen keine Scheu

Bad Berleburg (dpa) - Seit einem Jahr lebt eine Wisent-Herde ohne Zaun im Rothaargebirge. Sie soll sich dort in einem bundesweit einmaligen Projekt einen Lebensraum erobern. Wie kommen Mensch und Tier miteinander klar?

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Bad Berleburg (dpa) - Seit einem Jahr lebt eine Wisent-Herde ohne Zaun im Rothaargebirge. Sie soll sich dort in einem bundesweit einmaligen Projekt einen Lebensraum erobern. Wie kommen Mensch und Tier miteinander klar?

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Gemächlich trottet „Quelle“ auf Jochen Born zu. Die zweijährige Wisent-Kuh kuschelt sich an den Ranger. „Da merkt man, dass das eine Handaufzucht ist“, sagt der 39-Jährige. Der Rest der Herde beäugt den Besuch im Gehege der Wisent-Welt bei Bad Berleburg in Nordrhein-Westfalen aus einigem Abstand. Weglaufen nur wegen der paar Zaungäste kommt aber auch für sie nicht infrage.

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Aber selbst die ausgewilderten Wisente sind alles andere als wild. Seit dem 11. April 2013 streifen sie in einem bundesweit einmaligen Artenschutzprojekt ohne Zaun durch die Wälder der Region. Vor Menschen scheinen sie wenig Scheu zu haben. Das hatte man anders erwartet. Wisent-Ranger Born kümmert sich seit 2010 um die Tiere im Rothaargebirge. Er hofft, dass die Europäischen Bisons Jahrhunderte nach ihrer Ausrottung auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands irgendwann wieder „ganz normale Wildtiere wie Hirsche und Wildschweine“ werden.

„Das Gehege ist unser Schaufenster in das Artenschutz-Projekt“, sagt Born. Damit habe man Interessierten einen Blick auf die Tiere bieten wollen. Denn eigentlich waren die Experten davon ausgegangen, dass die freilebende Herde in die Wälder verschwindet und nur anhand dreier GPS-Halsbänder für die Projektmitarbeiter greifbar bleibt. Die Tiere waren intensiv auf die Auswilderung vorbereitet worden.

Doch anscheinend hat sie das nicht so viel menschenscheuer gemacht. Immer wieder berichten Spaziergänger und Radfahrer von Begegnungen mit den Tieren. „Die sind ganz begeistert, das ist für die ein richtiges Abenteuer“, sagt Hubertus Schmidt von der Tourismus-Information im benachbarten Schmallenberg. Das mit rund 1,5 Millionen Euro von Land und Bund geförderte Freisetzungsprojekt ist für den Tourismus der Region ein Glücksfall. Nicht wenige kommen ins Rothaargebirge eigens in der Hoffnung, die freilaufenden Wisente zu sehen. „Wir haben häufiger Nachfragen: „Bei euch, da sind doch die Wisente““, sagt Anna Galon vom Sauerland-Tourismus.

Born ist weniger begeistert darüber, dass die Wisente nicht verschwinden, wenn sie Menschen wittern. „Die Wildheit stumpft offenbar ab“, vermutet der Wisent-Ranger. Der Herde rund um den Leitbullen Egnar war zwar ein Flucht-Reflex antrainiert worden, aber die Wisente hätten ja seit Generationen in Gefangenschaft gelebt.

Auch wenn die Herde beim Überqueren von Straßen beobachtet wurde, sind kritische Situationen ausgeblieben: „Es gibt bei uns keine Vorfälle“, sagt Georg Baum von der Kreispolizei Siegen-Wittgenstein, in deren Zuständigkeitsgebiet die Wisente leben. Dafür reagierten Waldbesitzer aus dem benachbarten Sauerland aufgebracht über die neuen Nachbarn, die Schäden angerichtet haben sollen. „Das ist von der Versicherung reguliert worden“, sagt Born.

Kurz nachdem vor einem Jahr der vier Kilometer lange Zaun rund um das Auswilderungsgehege abgebaut war, wurde erstmals seit langem ein wildes Wisent-Kalb in Deutschland geboren. Bis ins 18. Jahrhundert hinein lebten Wisente in deutschen Wäldern. Vor rund 90 Jahren wäre die Wildrinder-Art fast ausgerottet worden. Nur noch zwölf Exemplare der eindrucksvollen Tiere, die bis zu einer Tonne schwer werden können, lebten in Zoos und Gehegen. Mittlerweile gibt es in den Weiten Osteuropas wieder einige erfolgreiche Auswilderungsprojekte.

Gegen die Auswilderung der Wisente im dicht besiedelten Deutschland hatte es zunächst Vorbehalte gegeben. Doch das von Richard Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg angestoßene Pilotprojekt fand auch viele Unterstützer. Wissenschaftler begleiten die Auswilderung und wollen herausfinden, ob die Wildrinder sich einen Lebensraum erobern können, ohne dass es Natur oder Menschen negativ beeinflusst.

Im Mai wollen die Projekt-Verantwortlichen erste Ergebnisse der Auswilderung vorstellen. Frühestens 2015 soll entschieden werden, ob nach dem Zaun auch die GPS-Halsbänder entfernt werden oder ob die Wisente wieder eingesperrt werden müssen.