Hunde auf der Massage-Liege

Schotten (dpa) - Hunden geht es manchmal wie Menschen. Um nach einer Krankheit wieder auf die Beine zu kommen, brauchen sie Hilfe. Bei Physiotherapeutin Christine Schulz bekommen sie Massagen, Akupunktur und Therapien mit Reizstrom - fast wie bei den Zweibeinern.

Bereitwillig lässt sich Gordon-Setter-Hündin Lena auf die Seite fallen, während die elektrische Massage-Liege wie ein Fahrstuhl emporfährt. Prüfend hebt das Tier noch einmal den Kopf, bevor es ihn entspannt auf die Matte sinken lässt. Lena hat Probleme im Sprunggelenk. Christine Schulz legt ihre Hände auf das rechte Bein des Tieres, tastet vorsichtig, macht kreisförmige Bewegungen, lockert so die Muskulatur. Die 38-Jährige ist Hunde-Physiotherapeutin.

Seit acht Jahren behandelt Schulz Tiere, seit rund einem Jahr hat sie eine Praxis im hessischen Vogelsbergkreis. „Hunde haben eigentlich dieselben Krankheiten wie Menschen“, sagt sie. Die Liste der Beschwerden ist lang: Kreuz- und Bänderrisse, Bandscheibenvorfälle, Arthrosen, Verspannungen, Lähmungen. So wie ältere Menschen leiden auch betagte Hunde an Verschleißerscheinungen von Gelenken und Knochen oder einer Degeneration der Muskulatur oder den Folgen von Schlaganfällen. „Vieles ist identisch.“

Weil sich Zweibeiner und Hunde physiologisch wenig unterschieden, seien die Therapie- und Rehabilitationsmaßnahmen der Vierbeiner an die der Menschen angelehnt: „Ich arbeite mit Massagen, Akupunktur, Wärmewickeln und Geräten“, erklärt die 38-Jährige. Auf den ersten Blick ist ihre grün tapezierte und Licht durchflutete Praxis nicht von einer humanmedizinischen zu unterscheiden: Behandelt wird auf einer höhenverstellbaren Liege von der Größe eines Doppelbetts. In einer Ecke des rund 20 Quadratmeter großen Raumes stehen Geräte mit Softlaser, Reizstrom und Ultraschall, in Regalen im Nachbarraum sind Rotlichtlampen, Gymnastikbälle, Stepper und Gurte einsortiert.

Ziel der Physiotherapie sei es, Schmerzen zu lindern und den physiologischen Bewegungsablauf wieder herzustellen. „Viele Hunde nehmen nach einer OP oder wegen altersbedingter Erkrankungen Schonhaltungen ein und sind durch Verspannungen oder die Erkrankung nicht mehr bewegungsfreudig“, erklärt Schulz. Bei der Therapie verfolgt sie einen ganzheitlichen Ansatz: Neben der eigentlichen Behandlung gibt sie Haltern Tipps für das richtige Brustgeschirr und welche Bewegungsabläufe die Regeneration unterstützen.

Die Tiere scheinen zu spüren, dass sie ihnen helfen kann: „Die meisten lassen sich schon beim zweiten Termin bereitwillig auf der Matte auf die Seite fallen“, sagt die 38-Jährige. Viele Tiere würden bei der rund 40-minütigen Behandlung sogar derart entspannen, dass sie dabei einschliefen. Meist stellten sich nach ein paar Sitzungen Besserungen ein. Stolz ist die Physiotherapeutin, dass einige gelähmte Hunde durch ihre Therapie wieder laufen können. Ähnliche Angebote wie Schulz haben in Hessen die Praxen Hundekrankengymnastik Carmen Feyh in Kirchhain (Landkreis Marburg-Biedenkopf) und die Praxis Touchwell von Tanja Schäfer (Landkreis Offenbach).

In Deutschland gibt es nach Angaben des 1. Verbandes für Tierphysiotherapie in Kirchlengern (NRW) schätzungsweise 1000 Tierphysiotherapeuten - rund 250 sind Mitglied im Verband. „Die Physiotherapie hat bei Tieren den gleichen Stellenwert wie bei Menschen“, sagt die Vereinsvorsitzende Katrin Vosswinkel. Die Branche habe sich in den vergangenen Jahren stark professionalisiert, der Markt sei groß. Eine Sitzung koste zwischen 20 und 60 Euro. Nach Angaben des Industrieverbandes Heimtierbedarf gibt es mehr als fünf Millionen Hunde in Deutschland.

Laut Cécile-Simone Alexander, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft physiotherapeutisch arbeitender Tierärzte (APAT) in Berlin, ist die Indikation für eine Physiotherapie dieselbe wie beim Menschen. „Auch bei Tieren lassen sich Schmerzen lindern, Bewegungsabläufe trainieren und altersbedingte Verschleißerscheinungen behandeln.“ Die steigende Beliebtheit der Tierphysiotherapie sieht die Medizinerin aber kritisch. Der Grund: Das Berufsbild ist nicht geschützt. „Jeder kann sich ein Schild an die Tür nageln, wenn er die Berufung spürt, Tiertherapeut zu sein“, sagt sie. Sie rät deswegen Haltern zu Therapeuten, die eine fachliche Ausbildung absolviert und Weiterbildungsseminare besucht haben. Darüber hinaus sollten sie sich im Vorfeld mit anderen Hundehaltern austauschen.

Christine Schulz hat vor rund acht Jahren eine einjährige Ausbildung an einer Privatschule in Karlsruhe und ein Praktikum in einer Tierklinik absolviert. Die 38-Jährige wuchs als Kind mit Tieren auf, sie prägten ihren Alltag. Später schaffte sie sich selbst Hunde an und schulte von der Reisekauffrau um. „Mit 30 hatte ich gemerkt, dass ich viel lieber mit Tieren arbeite.“

Als Konkurrenz zum klassischen Tierarzt sieht sich die gebürtige Friedbergerin nicht: „Die Physiotherapie kann den Mediziner nicht ersetzen, es ist eher ergänzend.“ Es bedürfe einer genauen Diagnose des Arztes, um die Therapie auf das jeweilige Krankheitsbild abstimmen zu können. Die meisten Tiere kommen auf Initiative von Frauchen oder Herrchen, manche werden auch von einem Tierarzt überwiesen. Das Einzugsgebiet ist die Rhein-Main-Region, die Wetterau, Gießen und Osthessen. „In der Woche habe ich 20 bis 25 Hunde“, sagt die Therapeutin.

Die hohe Zahl erklärt sie damit, dass zum einen Tieren dank Fortschritten in der Medizin in den vergangenen Jahren besser geholfen werden kann. Wie Menschen würden auch Hunde dadurch älter. Zum anderen investierten die Halter mehr in das Wohl der Vierbeiner als früher. „Ein Hund ist heute nicht bloß Haustier, sondern ein echter Sozialpartner und Gefährte“, sagt Schulz und verweist auf den demografischen Wandel mit steigender Zahl von Singlehaushalten und Rentner, die sich einen Hund anschaffen, wenn die Kinder aus dem Haus sind.

Schulz selbst hat mit Gordon-Setter-Hündin Lena ihren inzwischen vierten Hund. „Die Behandlung tut ihr gut,“ sagt sie. Die Jagdhündin freut sich nach der 40-minütigen Massage auf Leckerlis, springt schwanzwedelnd von der Liege. Durch ihre Behandlung habe der Hund wieder mehr Freude an Bewegung und könne nun wieder ausgelassen im Garten umhertollen.