Abschalten und die Natur genießen - Kahnfahren im Spreewald
Lübbenau (dpa/tmn) - Der Großstadthektik entfliehen und in die Natur abtauchen: Das geht im Spreewald, knapp 90 Kilometer südöstlich von Berlin. Besucher lassen sich hier gemächlich auf einem Kahn über Seitenarme der Spree transportieren.
Gemächlich gleitet der Kahn durchs dichte Grün. Lilienblätter ragen aus dem Wasser, ein Stück weiter blühen ein paar Seerosen. Am Ufer wippen lange Farnwedel leicht im Wind, überdacht von Birken, Eichen und anderen Laubbäumen. Immer wieder schweben bläulich schillernde Libellen vorüber. Es geht vorbei an gepflegten Gärten, in denen bunte Blumen blühen und ordentlich bestellte Gemüsebeete liegen. Eine Kahntour durch den Oberspreewald bei Lübbenau in Brandenburg ist nichts für Eilige.
Ein ums andere Mal stößt Fährmann Ingolf Tessmer eine lange Eschenholzstange mit Metallspitzen am Ende in den sandigen Untergrund und schiebt so den Kahn voran - er „stakt“ das kiellose Wasserfahrzeug. Für die knapp zweieinhalb Kilometer vom Hafen Am Holzgraben in Lübbenau bis zum Freilandmuseum in Lehde braucht er eine gute Dreiviertelstunde. Etwa 25 Gäste, die auf mehreren Bänken vor schmalen Tischen sitzen, hat er an Bord. Und für die gibt es viel zu entdecken links und rechts am Ufer. Immer wieder tauchen Fachwerkhäuser mit bunten Türen und Fenstern auf und kleine schilfgedeckte Holzhäuser, vor denen Kähne halbversunken im Wasser liegen.
Manche Grundstücke sind verwildert, üppiges Grün wuchert dort am Ufer. „Landflucht“, lautet Tessmers Erklärung. Denn wirtschaftlich hat die über Jahrhunderte von Ackerbau und Viehzucht geprägte Region wenig zu bieten, seit der Braunkohleabbau in der Lausitz nach der Wende weitgehend wegfiel. Eine Haupteinnahmequelle in der rund 90 Kilometer von Berlin entfernten Gegend ist der Tourismus auf oder am Wasser - zumindest im Sommer. Wanderwege und Radwege sind ausgeschildert. An sie sollten Radler sich auch halten, sonst kann es sein, dass sie immer wieder absteigen und ihren Drahtesel über schmale Holzbrücken mit steilen Treppen wuchten müssen, um voranzukommen. Die Kahnfahrer gleiten fast lautlos darunter weg.
Theoretisch könnten die Radler aber ihr Zweirad auch schultern und durchs Wasser tragen. Denn Angst vor dem Ertrinken muss hier niemand haben, auch die Paddler nicht, die dem knapp neun Meter langen und etwa zwei Meter breiten Kahn von Tessmer immer wieder auf den schmalen Wasserstraßen ausweichen müssen. Das Wasser ist meist gerade mal 30 Zentimeter tief. „Die Kähne haben grundsätzlich Vorfahrt“, erklärt der junge Mann, der in der dritten Generation Gäste über die Spree, ihre weit verzweigten Seitenarme und die künstlich angelegten Kanäle stakt. „334 Fließe gibt es hier, 200 davon sind befahrbar“, erzählt er. 350 Fährleute bewegen von Lübbenau aus Gäste allein mit ihrer Muskelkraft über diese Wasserwege.
Denn mit Motor dürfen nur Wirtschaftskähne und die Polizei im Spreewald unterwegs sein. Selbst die Postbotin muss ihre Fracht staken. Zwischen Erzählen und Staken gibt Tessmer schnell noch verirrten Kanufahrern Auskunft, wie sie zurück zur Hauptspree finden, die von Cottbus an Lübbenau vorbei Richtung Norden fließt. Als sie dann mit ihren Booten an seinem gut 20 Jahre alten Holzkahn vorbeischrappen, scherzt er: „Ungefähr so hat sich das bei der Titanic angehört. Sie haben jetzt noch eineinhalb Stunden.“
Auf dem Rückweg von Lehde zum Hafen in Lübbenau geht es vorbei am ältesten Backsteingebäude des Ortsteils. Im Jahr 1911 habe es durch einen Film Ruhm erlangt, berichtet Tessmer: In der im Spreewald angesiedelten Liebestragödie „ Der fremde Vogel“ habe die Schauspielerin Asta Nielsen aus einem der Fenster geschaut. Heute sind es vor allem die Touristen, die sich dort umschauen - vom Kahn aus.