Besuch beim Schweizer Kräuter-König im Val Poschiavo
Poschiavo (dpa/tmn) - Wer hat's erfunden? Die Schweizer! Das hat uns die Bonbon-Firma in ihren Werbespots ja zur Genüge eingebläut. Aber woher kommen eigentlich die Kräuter für die berühmten Bonbons?
Aus dem Val Poschiavo, das viele Urlauber nur durchfahren - zu Unrecht.
Millionen von Touristen sind an Bord der Rhätischen Bahn durch das Val Poschiavo gereist auf ihrem Weg von St. Moritz nach Italien. Aus der weißen Gletscherwelt rund um den Bernina-Pass fahren sie in den legendären Roten Zügen über Viadukte und durch viele Tunnel hinab in das nach Süden sanft ins Valtellina übergehende Tal. Aber die wenigsten steigen aus.
Dabei blühen im Sommer die Almwiesen um das mediterran angehauchte Städtchen Poschiavo in bunten Farben - der Grundstoff für einen der berühmtesten Exportschlager der Schweiz: den „Ricola Schweizer Kräuterzucker“.
Vor 21 Jahren lieferte Reto Raselli aus dem italienischsprachigen Teil des Kanton Graubündens die ersten Kräuter für die Firma. „Ich war einer der ersten, die sich voll uns ganz dem Kräuteranbau verschrieben haben„, erzählt Raselli, während er über eines seiner prächtigen Kräuterfelder am Lago di Poschiavo spaziert. In den ersten Jahren stammten praktisch alle Kräuter in den Hustenbonbons von seinen Wiesen, auf rund 1000 Metern Höhe gelegen. Wenn im Sommer Surfer und Segler über den See gleiten, strahlen am Ufer seine Felder in leuchtenden Farben.
Zehn heimische Kräuter wie Schafgarbe, Malve und Frauenmantel baut er für die Bonbon-Produktion an, die mittlerweile 200 Tonnen getrocknete Kräuter pro Jahr verschlingt. „Bis zu 15 Prozent stammen davon immer noch von mir“, erzählt der Mann mit den funkelnd braunen Augen.
Der Rest kommt mittlerweile von Kräuterbauern im Wallis, im Emmental, der Gegend von Luzern und aus dem Tessin. Raselli baut nun neben 20 Kräutersorten auch Bergblumen wie Edelweiß an. „Das ist der Renner, weil man frei wachsende Edelweiß ja nicht pflücken darf.“
Aus Norden kommend, liegt das Puschlaver-Tal, wie es die Deutsch-Schweizer nennen, hinter den Bergen - hinterwäldlerisch waren die Puschlaver aber noch nie. Ende des 19. Jahrhunderts wanderten viele von Ihnen nach Spanien aus und brachten es dort als Zuckerbäcker zu Reichtum. In ihrer alten Heimat ließen sich die Rückkehrer pastellfarbene Patrizierhäuser errichten. So verwandelte sich das Städtchen in einen prachtvollen Ort mit italienischem Flair.
Die Piazza vor dem Hotel Albrici, der früheren Postkutschen-Station, sieht aus wie in Italien. Es riecht nach starkem Espresso und den mit Holz angefeuerten Steinöfen der Pizzeria. Im Schatten des mittelalterlichen Turms und der beiden Kirchtürme trinkt man kräftige Nebbiolo-Rotweine aus dem benachbarten Veltlin. Die Top-Weine wie der im Stile des italienischen Amarone aus getrockneten Trauben produzierte „Sforzat“ werden weltweit geschätzt.
Als Urlaubsziel aber wird das Val Poschiavo immer noch unterschätzt. Sicher fehlt es dem Tal im Vergleich zum benachbarten Engadin an Top-Hotels und Gourmet-Lokalen. Dafür bietet es aber Bodenständigkeit und spannende Kontraste: Der Norden rund um den 3905 Meter hohen Piz Palü ist hochalpin, im Süden wachsen unterhalb des berühmten Bahn-Viadukts von Brusio auf 450 Metern Höhe im subtropischen Klima Palmen, Olivenbäume, Oleander. Und natürlich Kräuter.