Das blaue Wunder: Hohe Berge und tiefe Krater in Oregon
Bend (dpa/tmn) — Schneebedeckte Vulkane, weite Ebenen, dichte Wälder, nette Wildwest- und fast tote Geisterstädte: Der Süden und das Zentrum des US-Staats Oregon sind besonders vielseitige Reiseziele.
Wer den Crater Lake besucht, kann sogar ein blaues Wunder erleben.
Dieses Blau, dieses unfassbare Blau! Unten im See strahlt es fast noch mehr als oben am weiten Himmel über Oregon. Wer an einem sonnigen Tag wie diesem mit dem Teleobjektiv am Kraterrand steht, zuerst das Wasser im Crater Lake fotografiert und dann ins Firmament zielt, wird später die Aufnahmen kaum auseinanderhalten können, so intensiv leuchtet es auf beiden in Ultramarinblau. Und diese Farbe bleibt im Kopf, sie brennt sich ein als Erinnerung an den US-Staat im pazifischen Nordwesten, der auch abseits seiner Küste viel eindrucksvolle Natur bietet — mit dem Crater Lake als Höhepunkt.
Der Crater Lake ist Namensgeber für Oregons einzigen Nationalpark. Er zieht jedes Jahr rund eine halbe Million Besucher an, die den tiefsten See der USA mal aus der Nähe sehen wollen. Bis zu 592 Meter liegen zwischen Wasserspiegel und Grund. Eine kaum vorstellbare Tiefe! Würde man im See den Kölner Dom dreimal übereinanderstellen, so würden noch immer mehr als 120 Meter bis zur Oberfläche fehlen.
Entstanden ist das Gewässer durch einen gewaltigen Vulkanausbruch. Vor 7700 Jahren explodierte an dieser Stelle des Kaskadengebirges ein 3600 Meter hoher Berg, der im Nachhinein Mount Mazama genannt wird. Durch die riesige Vulkaneruption stürzte der Berg in sich zusammen und formte den Krater, der sich im Laufe der Zeit mit Schnee und Regenwasser füllte.
So verheerend der Vulkanausbruch auch war: Heute ist Crater Lake ein durch und durch friedlicher Ort. Eine 53 Kilometer lange Straße führt einmal um ihn herum. Geöffnet ist sie in der Regel von Juli bis Oktober, in den anderen Monaten lasten riesige Schneemassen auf dem Asphalt. Auch im Hochsommer blinken regelmäßig Schneefelder links und rechts der Straße in der Sonne.
Wer die Kratersee-Umrundung nicht im eigenen Fahrzeug absolvieren möchte, kann sie zusammen mit einem Ranger, der Erläuterungen gibt, in einem Trolleybus erleben. Der Nationalpark-Service bietet diese Fahrten seit einigen Jahren an, zusätzlich zu den zweistündigen Bootstouren, die in der Cleetwood-Bucht am Nordrand des Sees bis zu sechsmal am Tag beginnen. Der lange, steile Pfad zum Schiffsanlager ist der einzige Weg überhaupt, der zur Seeoberfläche hinab führt. Wer die Bootstour mitmachen möchte, sollte körperlich fit sein, raten die Ranger - denn nach der Fahrt geht es den Pfad ja auch wieder hinauf.
Weil es am See kaum Unterkünfte gibt, kommen viele Besucher nur als Tagesausflügler - zum Beispiel für einen Abstecher auf der Fahrt zwischen Klamath Falls im Süden und Bend weiter nördlich. Einen oder zwei Tage länger zu bleiben, würde sich aber lohnen, denn neben der Kraterrand-Fahrt gibt es hier noch viel mehr zu sehen und zu erleben.
Ein bizarres Bild bieten zum Beispiel die Pinnacles im Südosten des Nationalparks. Hier strömten einst Vulkangase durch sogenannte Fumarole an die Oberfläche und zementierten die Asche. Als durch Erosion später das umgebende Gestein abgetragen wurde, blieben die Kalksteinsäulen als Schlote stehen.
Üppig grün präsentiert sich die Landschaft auf dem Weg nach Westen zum Pazifik. Unterwegs bieten sich nahe des Highways 138 an den Watson Falls und Toketee Falls zwei schöne, kurze Wanderungen zu Wässerfällen an. Vor allem die 83 Meter hohen Watson Falls sind ein imposanter Anblick.
Führt die Tour dagegen vom See nach Nordosten oder Südosten, zeigt sich rasch wieder eine andere Kulisse. Große Viehfarmen prägen das Bild, die Weiden tragen im Sommer mehr Ocker und Gelb als Grün, und in Fort Klamath üben sich Cowboys und —girls samstags beim Rodeo im Lassowerfen und Rinderfangen. Gibt man sich als Tourist zu erkennen, wundern sie sich: „Die meisten rauschen hier doch nur durch auf dem Weg zum Crater Lake“, sagt einer und freut sich über das Interesse.
Östlich des Highway 97 wird das Land immer trockener und karger, die Region wird Oregon Outback genannt. In der Tat erinnert die mit niedrigem Gras bewachsene Landschaft bisweilen an Australien. Zum Beispiel rund um Silver Lake, wo die Speisekarte im örtlichen Café deutlich macht, was hier von echten Kerlen erwartet wird. Für 24,50 Dollar bekommen sie den „Big Hoss Double“ serviert, der nicht weniger als 1,25 Kilogramm Hackfleisch enthält, sechs Eier, zwölf Scheiben Käse, 250 Gramm Schinken und noch einiges mehr. Auf dem Teller liegt auch mehr als ein Kilogramm Pommes frites. „Bestellt haben ihn bisher um die 50 Leute“, erzählt die Kellnerin. „Geschafft haben ihn zwei.“
Nächstes Ziel ist Shaniko auf einer fast baumlosen Hochebene weiter im Nordosten. Nach dem Eisenbahnbau boomten um 1900 der Ort und die Schaffarmen ringsum, doch mit einem Großbrand begann 1911 der schnelle Abstieg. Geblieben sind alte Häuser, im Gefängnis lassen sich die vergitterten Zellen von innen betrachten. Offiziell gilt Shaniko als Geisterstadt, obwohl noch 25 Menschen hier leben.
Ständige Begleiter bei einer Fahrt durch Zentral-Oregon sind die markanten Gipfel des Kaskadengebirges. Die Vulkane erheben sich in größeren Abständen aus der Bergkette, mindestens einer ist aber von den meisten Orten aus zu sehen. Ob Mount Bachelor, Mount Jefferson, Mount Hood oder der schon im Staat Washington gelegene Mount Adams: Sie alle sind 2700 bis 3750 Meter hoch. Und gäbe es den Mount Mazama noch, er würde heute mit ihnen eine Reihe bilden und seine von Schnee bedeckte Spitze in die Höhe recken, in einen unfassbar blauen Himmel.