Der vibrierende Sound der Dünen
Bei Sonnenaufgang durch die Wüste wandern. Die Rub al-Khali fasziniert.
Abu Dhabi. Still und endlos liegen sie da, die gelblich roten Dünen. Die Sonne lässt ihre Oberflächen glänzen, ihre Schattenseiten taucht sie in tiefes Schwarz. Orangefarbene Hügel bis zum Horizont, der kühle Wind fräst Muster in den Sand und verwischt in Sekunden jede Fußspur.
Die größte Sandwüste der Welt ist von Sonnenauf- bis -untergang ein gewaltiges Spiel der Farben. Von silbrig am Morgen über grell und vor Hitze flirrend mittags bis zum Blau-Grau am Abend — die Rub al-Khali fasziniert wie kaum eine andere Landschaft.
Sie ist gefährlich, auch heute noch, denn sie ist rund 780 000 Quadratkilometer groß und hat schon viele das Leben gekostet. Einfach hindurchzureiten, unmöglich. Auch zu fahren ist nicht ratsam, denn die Geländewagen bleiben im tiefen Sand stecken. Orientierungslosigkeit ist neben den großen Temperaturschwankungen von bis zu 60 Grad tagsüber im Sommer und Minusgraden in der Nacht das größte Problem.
Aber gerade das übt eine magische Anziehung aus. Die pure Natur. Unnachgiebig, unbezwingbar. Ein seltsamer Gedanke, dass man einen mehrtägigen Ausflug nicht überleben könnte. Erschreckend. Aber irgendwie auch gerecht. Denn hier hat die Natur der Erde eine letzte Bastion, die frei von menschlichem Eingreifen ist.
Es ist früher Morgen, sechs Uhr. Das Thermometer zeigt sieben Grad plus. Es ist stockfinster, bitterkalt. Dick eingemummelt beginnt der Anstieg auf insgesamt vier hintereinanderliegende, immer höher werdende Dünen.
Trotz des kalten Winds läuft der Schweiß, der Puls rast. Die Welt scheint in totaler Finsternis und Stille zu liegen, nur der eigene Atem ist zu hören. Die Füße bleiben immer wieder im Sand stecken, wie Lawinen rutschen die Sandmassen hinab. Zwei Schritte vor, vier zurück. „Ihr müsst zickzack laufen, sonst schafft ihr es nicht nach oben“, zeigt Guide André, wie man den Dünenkamm erklimmt.
Nach mehr als einer Stunde ist es geschafft. Eine feine, hellblaue Linie zeichnet sich am Horizont ab, langsam verfärbt sie sich gelblich. Sofort ist die Kälte vergessen, beeindruckt starren alle ins Licht. Kameras klicken, der Wind saust in den Ohren. Es dauert nur wenige Minuten, bis die Sonne ganz am Himmel steht. Ständig verändern die Sandberge ihr Bild: von hellem Gelb bis hin zu sattem Rot.
Es sind nur Minuten, in denen das Licht wie durch einen Weichzeichner auf die Landschaft fällt. „Das Beste kommt noch“, flüstert André. „Habt ihr schon mal den Sound der Dünen gehört?“
Es geht bergab, einen steilen Hang hinunter, ganz langsam. Und immer mit der Ferse fest in den Sand graben. Viel Druck auf jeden Schritt. Nach fünf Schritten ist er da: „the sound of the dunes“. Ein tiefes, langgezogenes Brummen, wie aus einem Didgeridoo oder einem Schiffshorn. Dazu kribbelt es unter den Füßen trotz dicker Sohlen: Sandschichten sind in Bewegung geraten und vibrieren. Unten angekommen, verhallt das Geräusch im Nichts.
Wüstenfreunde begeben sich am besten auf eine mehrtägige, geführte Expedition, übernachten im Zelt. Wer es komfortabler mag, kann sich im einzigen Fünf-Sterne-Hotel im „empty quarter“, dem leeren Viertel der Wüste, einquartieren. Rund 250 Kilometer geht es von Abu Dhabi City aus mitten rein in die Rub al-Khali, unterwegs nichts als Sand. Irgendwann säumen Palmen die Schnellstraße, am Boden liegen Bewässerungsschläuche. Am Rand eines Wadis hat sich das Hotel einen Hotspot gesichert: mit traumhaftem Blick auf das Panorama der Dünen. Ein Projekt, das die staatliche Tourismus-Entwicklungsgesellschaft ins Leben gerufen hat. Luxus in der Leere.
Es ist schon bizarr, im beheizten Swimmingpool zu liegen, Fontänen und Wasserspiele plätschern zu hören und dabei auf die Wüste zu schauen. Dünen zum Greifen nah, ringsum eine Hotelanlage, die den traditionellen arabischen Stil verkörpert. Ein seltsames Gefühl, nachts statt des fantastischen, klaren Sternenhimmels das Qasr al Sarab wie eine kleine Stadt im Nichts leuchten zu sehen. Statt der dumpfen Stille zwischen den Dünen geschäftiges Treiben am Tag im Ohr zu haben.
Man muss schon sehr weit rauslaufen, um keinen Laut mehr zu hören, kein Stimmengewirr, keine Motorengeräusche. Der Gast im Luxushotel ist hin- und hergerissen: Nach dem Spa auf einer Liege zu entspannen und es sich beim Blick auf die wohl schönsten Dünen der Welt gutgehen zu lassen, oder sich auf ein echtes Wüstenabenteuer zu begeben.