Durch den Tiefschnee zum Strand
Ein Skivergnügen der besonderen Art: Mit der „Polargirl“ geht es zu den schönsten Hängen direkt am Meer.
Norwegen. Als ob ein Riese einen Sack voller weißer Kegel ins Meer geschüttet hätte: So sieht der Norden Norwegens im Winter aus. Die Landschaft hat etwas Unwirkliches mit ihren schneebedeckten Gipfeln, die bis zu 1500 Meter aus dem stahlblauen Nordmeer ragen, mit ihren schroffen Felsen und tiefen Tälern. Kilometerlange Gletscherzungen ergießen ihre tonnenschwere Eisfracht ins Wasser der Fjorde.
Zöge nicht hin und wieder ein Schiff seine Bahn - die Landschaft wäre menschenleer und wirkte sich selbst überlassen. Hier eine Skitour zu unternehmen, ist etwas wirklich Außergewöhnliches. Die Lyngen-Alps, gut 300 Kilometer nördlich des Polarkreises und zwei Flugstunden von der Hauptstadt Oslo entfernt, sind vom Skizirkus alpenländischer Machart weit entfernt.
Dennoch: Bei Skisportlern ist die Gegend um die Hafenstadt Tromsö, in der angeblich das Skifahren erfunden wurde, in den vergangenen Jahren immer beliebter geworden.
Christian Donner, Bergführer aus der Fränkischen Schweiz, ist mit seiner Bergsportschule Pro Alpin schon zum dritten Mal hier. "Die großartigste Landschaft zum Skitourengehen in Europa", lautet sein Urteil. 20 Bergverrückte haben Donner und seine Kollegen Franz und Jochen diesmal im Schlepptau.Meist sind es gute Skifahrer, das nötige Mindestmaß an Kondition haben sie sich im Sommer antrainiert. "Halbwegs ordentliches Tiefschneefahren und Kraft für vier Stunden Aufstieg", nennt Donner als Voraussetzungen für diesen Spaß.
Die Berghütte in den Alpen tauschen die Skiläufer in Skandinavien mit einer schwimmenden Unterkunft: Das ehemalige Reparaturschiff "Polargirl" ist für sechs Tage ihr Stützpunkt.Es ist der kuriose Gegensatz von Meer und Bergen, vom Leben auf dem Schiff und der Abfahrt durch den Tiefschnee zum Strand, der die Schreibtischtäter aus Hamburg, München und Bamberg anzieht. "Vom Gipfel aus das Meer sehen und ihm durch den Pulverschnee entgegen schweben. Das ist es!", sagt Cordula, eine Hamburgerin, die zum ersten Mal in Norwegen ist."Vom Gipfel aus das Meer sehen und ihm durch den Pulverschnee entgegen schweben. Das ist es!"Cordula, SkifahrerinFür Donner und seine Kollegen von der Lenggrieser Bergschule Hydroalpin ist das Führen in Norwegen Schwerarbeit.
"Anders als in den Alpen gibt es keinen brauchbaren Lawinenlagebericht", sagt Christian Donner.Während die Mitreisenden ihre Blasen an den Füßen kühlen oder an Deck im Warmwasser-Bottich ein heißes Bad in eisiger Luft nehmen, zieht sich das Bergführer-Trio ins Kapitänskasino der "Polargirl" zurück."Wir müssen uns jeden Tag ein Bild von der Gegend machen, die nächste Tour akribisch planen", sagt Franz Perchtold. "Nur dann sind unsere Gäste sicher." Ein ganzer Berg exakter Karten, der aktuelle Wetterbericht und jede Menge Erfahrung - das "Gespür für Schnee" - helfen ihnen dabei. Nach sechs Touren in sechs Tagen kann Perchtold schließlich zufrieden sein Resümee ziehen: "Es ist keinem etwas passiert.""Vor zwei Jahren hatten wir im Winter noch vier Schiffe im Monat", sagt Merethe Jacobsen.
Sie führt den Dorfladen in Havnnes, einem typischen Norweger-Dörfchen mit weiß getünchten Holzhäusern und keinen 50 Einwohnern. "Jetzt sind es mehr als 20", sagte die junge Mutter.Ihr kleiner Tante-Emma-Laden, der gleichzeitig Poststelle und Museum ist, floriert wie selten zuvor. Im Sommer vermietet Jacobsen Ferienwohnungen an Angler aus Deutschland. Im Winter sind es vor allem Franzosen, Italiener, aber auch Deutsche und Österreicher, die sich hier in der Region den Kick des Tiefschnee-Erlebnisses gönnen.Lawinen-Airbags und Pflaster gehören ins GepäckHavnnes auf der Insel Uloya hat für Wintertouristen zwei Vorteile: Der erste ist ein Bootsanleger, der den Skifahrer-Schiffen auch bei rauerer See eine sichere Übernachtung bietet.
Der zweite ist die Nähe zum 1064 Meter hohen Gipfel Kjevagtinden, der als ein Paradeziel für Skitourengeher gilt. Am frühen Morgen scheucht Christian Donner seine Gäste aus den Kojen.Die Skifahrer-Routine Nord-Norwegens beginnt: Frühstück mit viel Lachs, warm anziehen, ein Pflaster auf die Blasen vom Vortag, Skistiefel an - und los geht’s. Auf den Rücken kommt der Rucksack mit Lawinenairbag, Schaufel und Lawinensonde, an den Körper das Verschütteten-Suchgerät - sicher ist nun mal sicher.Wie eine Raupe zieht sich die Schlange von Tourengehern langsam bergan. Die klappbaren Bindungen klicken bei jedem Schritt, das Atmen wird langsam schwerer. Es geht über hellblau glitzernde Gletscher, durch verschneite Gräben und über felsige Grate.
Den Blick teils stur auf den Rucksack des Vordermanns gerichtet, immer wieder aber auch durch die Landschaft streifend. Vorne das Gebirge, die Schneekristalle glitzern. Hinten das Meer, tiefblau schimmernd.Nach mehr als 1000 Höhenmetern ist der Gipfel erreicht. Wie ein Spielzeugschiff dümpelt unten die "Polargirl". Sie hat inzwischen die Insel umrundet und wartet auf der anderen Seite des Bergmassivs."Da müssen wir hin", sagt Bergführer Christian Donner. Die Skifahrer reißen die Klebefälle von den Laufflächen, stellen ihre Tourenbindungen auf Abfahrt um - und ab geht die Post. Wie durch ein Federbett, so leicht gehen die Schwünge, die Spuren werden zu langen Zöpfen.Das Meer rückt näher, die "Polargirl" wächst Stück für Stück zu realer Größe an.
Die Freude über das fast schwerelose Schwingen lässt selbst das Brennen der Oberschenkel vergessen."Da muss man ja nur mit dem Hintern wackeln", sagt Franz aus Berchtesgaden. Eine große Anerkennung für die Qualität des norwegischen Pulverschnees.Wenige Minuten später zieht Franz die grell-orange Schwimmweste über. Es gibt keinen Anleger, diesmal geht es vom Strand aus mit dem Beiboot zurück aufs Schiff. Ein Blick auf die Spuren im Hang, dann verschwindet der Berg hinter einer Landzunge. Die "Polargirl" fährt zurück in den Hafen von Tromsö.Das nächste Abenteuer wartet schon.