Zugspitze Eine Nacht im Tiefschnee
Unter dem Gipfel der Zugspitze steht im Winter Deutschlands höchstes Hotel — und sicher auch das kälteste.
Ließen sich nicht zumindest die Zehenspitzen heimlich in den Teebecher tunken? Man kommt schon auf komische Gedanken hier oben auf 2600 Metern Höhe kurz unter dem Gipfel der Zugspitze. An der Höhe liegt es nicht, auch wenn die sich durchaus in Kurzatmigkeit bemerkbar macht. Minus 12 Grad zeigt das Digitalthermometer draußen am Schlepplift, der hoch zum Schneefernerkopf führt. Unter normalen Umständen käme niemand bei solchen Temperaturen auf die Idee, ein Picknick zu machen. Doch in Deutschlands höchstgelegenem, und zweifellos kältestem Hotel gehört das Frieren zum Programm. Und dabei hat die Nacht im Igludorf auf dem Zugspitzplatt noch gar nicht begonnen.
Wer die Urgewalt der Berge mitten in Europa erleben will, der ist dort genau richtig. Nur fünf Gehminuten entfernt von der bayerischen Gemütlichkeit der Bergstation Sonnalpin mit Dudelfunk, karierten Vorhängen und SB-Restaurant steht man am frühen Abend mit einem voluminösen Arktis-Schlafsack unterm Arm im Tiefschnee. Die letzte Gondel ins Tal ist gerade abgefahren. Vor lauter Schneetreiben sind die umliegenden Berge bestenfalls zu erahnen. Bunte Fähnchen markieren deshalb, wo es abwärts geht. Und eine Holztür führt hinein in eine Schneewehe. Dass es gar keine ist, zeigt sich erst, als Patrick Festeling die Tür öffnet.
Festerling gefällt es offensichtlich hier oben. Schon im vierten Winter betreut der junge Mitarbeiter der Zugspitzbahn aus Garmisch mit drei Kollegen die Gäste im Iglu-Hotel. Die stapfen jetzt im Gänsemarsch in ihre Unterkunft. Das Igludorf ist streng genommen ein Schneehotel. Seine runden Räume werden jedes Jahr ab Mitte Dezember rund um einen großen Ballon aus Schnee geformt. Sie sind so groß, dass selbst ein Zwei-Meter-Mann zu Beginn des Winters bequem darin stehen kann. Mit der Zeit sinkt der temporäre Bau dann in sich zusammen, bis im April das Hotel geschlossen wird.
Lange Gänge aus Schnee verbinden die Räume mit den Plumpsklos — zum Händewaschen gibt es Desinfektionsmittel —, der Schneebar samt Disco-Kugel und Eistheke und dem Zugang zum Wellness-Bereich. Ja, Wellness — schließlich wollen die bis zu 45 Gäste beschäftigt werden, bevor sie in ihren kuscheligen Schlafsack robben. Zuerst führt Festerling seine Schützlinge deshalb raus in die Natur. Zwei Hausmeister und ein Wissenschaftler vom Deutschen Wetterdienst übernachten regulär auf Deutschlands höchstem Gipfel, erzählt er. In der Kapelle kann man auch heiraten, sollte im Winter aber ein paar Decken mitbringen. Sie ist ebenfalls nicht beheizt. Und im Schneefernerhaus unter dem Gipfel beobachten Forscher mit Argusaugen, wie der Klimawandel die drei Gletscherfetzen dort oben fortschmilzt. Im vergangenen Jahr gab es erst so spät ausreichend Schnee, dass das Hotel erst Mitte Februar vollständig fertig war.
Drüben in der Bergstation Sonnalpin erzählt Festerling schließlich vor einigen Bildern mit Bergpanoramen, wie die Zugspitze erschlossen wurde und mit der neuen Seilbahn für 120 Fahrgäste ab 2018 noch besser erreichbar sein wird. Der Baukran für die Stütze steht schon oben auf dem Gipfel. Doch vor allem kann jeder in der Zwischenzeit ein paar Minuten herrlich warme Heizungsluft atmen.
Anschließend geht es zurück ins Hotel, in dem zunächst Glühwein und Lumumba, später dann herrlich fettiges Käsefondue serviert werden. Wer schlau ist, hat am Vormittag in Partenkirchen bei der Chocolaterie Amélie vorbeigeschaut und ein paar Sahnetrüffel eingekauft. Schokolade liefert schnell Energie und regt damit den Blutkreislauf an. Das hilft gegen die Kälte.
Nach dem Essen will eine bayerische Geburtstagsgesellschaft aus zehn Damen im Licht der Discokugel unbedingt die Spider-Murphy-Gang hören. Die meisten Gäste kommen aus Süddeutschland. Viele haben die besondere Nacht geschenkt bekommen. Wer es etwas ruhiger mag, der geht mit Patrick bei der Kapelle rodeln oder lässt sich den Whirlpool aufklappen. Den gibt es blau beleuchtet im Wellness-Iglu oder für die Mutigen draußen unter der Mondsichel. Die Umkleide in einem großen Fass ist sogar beheizt, aber den Weg von dort ins Wasser muss man nur mit Badehose und Wollmütze bekleidet wohl oder übel barfuß bewältigen. Alles andere würde sofort feucht. Umso entspannender ist das Prickeln beim Eintauchen ins 40 Grad heiße Wasser.
Gewärmt geht es dann in den Schlafsack auf einem Podest aus Schnee und Schafsfellen. Fürs Handy gibt’s eine USB-Ladestation, damit der Wecker für den Sonnenaufgang nicht versagt. Der lärmt dann auch pünktlich morgens um sechs nach einer erstaunlich friedlichen Nachtruhe. Das Aufstehen ist eine Qual. Doch der Blick aus der Eingangstür des Schneehotels entschädigt für die fröstelnde Suche nach Handschuhen und Mütze. Wie ein rotes Band schiebt sich die Dämmerung über Alpspitze und Schneefernerkopf. Wenig später ist die Bergwelt der Zugspitze in magisches Rosé getaucht. Und nach dem herzhaften Frühstück im Sonnalpin lässt die rasante Abfahrt mit dem Zipfelbob über rund 500 Höhenmeter auch die letzten Gliedmaßen wieder warm werden.
Nur als auf dem Rückweg vom Gipfel die Gletscherbahn von einem aufziehenden Sturm erfasst wird und die Eibseeseilbahn ihren Betrieb einstellt, macht die Zugspitze tatsächlich deutlich, dass ein Besuch im Hochgebirge noch immer unberechenbar ist.
Der Autor reiste mit Unterstützung der Marketinggemeinde Garmisch-Partenkirchen.