Flüsse, Fahrräder, Fotojäger: Eine Familienreise in Südchina
Guilin (dpa/tmn) - Immer wieder klicken die Kameras. Der Fluss Li Jiang schlängelt sich durch die Provinz Guangxi, ein autonomes Gebiet im Süden Chinas - und auf der Bootsfahrt mangelt es nicht an Fotomotiven.
Grün bewachsene Berge erheben sich wie gigantische Kegel in den Himmel, Bauern in Gummistiefeln waten durch Reisfelder. Flöße, beladen mit Mangos und Bananen, manövrieren zwischen den großen Schiffen hindurch. Doch die Kameras sind weder auf die Händler noch auf die Naturschönheiten gerichtet.
Die Objekte der Aufmerksamkeit sind zwei kleine Mädchen, blond, blauäugig und damit aus chinesischer Sicht extrem exotisch: unsere Töchter. Die Chinesen an Bord des Ausflugsboots winken, rufen entzückt und fotografieren. Souveräne Reaktion: „Nǐ hǎo“, grüßt unsere Zweijährige und winkt zurück. Ihre sechsjährige Schwester bedankt sich brav bei einer jungen Frau, die ihr eine Mandarine geschenkt hat. Sie ist es nach zwei Wochen Reise quer durch das Land gewöhnt, dass sich Wildfremde auf sie stürzen.
Wer mit Kindern durch China reist, bekommt einen kleinen Eindruck davon, wie es sein muss, ein Promi zu sein. Egal wo wir auftauchen und was wir tun: Wir erregen Aufmerksamkeit. Rentner herzen unsere Kinder für einen Schnappschuss. Studenten machen mit unseren Töchtern Selfies. Eltern bringen ihren Nachwuchs neben unseren in Position.
Der 83 Kilometer lange Flusslauf zwischen Guilin und Yangshuo gilt zu Recht als eines der beliebtesten Reiseziele des Landes. Smaragdgrüne Felder, glitzerndes Wasser, steil aufragende Gipfel: Für die Chinesen ist die Region der Inbegriff einer „schönen Landschaft“. Eine besonders malerische Stelle, eine Flussbiegung beim Ort Xingping, die von mehr als einem Dutzend Hügeln flankiert wird, ziert sogar die Rückseite des 20-Yuan-Geldscheins.
Mein Mann und ich beschließen, uns die Landschaft am nächsten Tag jenseits des trubeligen Aussichtsboots noch einmal in Ruhe anzuschauen. Mit dem Fahrrad folgen wir nicht dem Li Jiang, sondern dem Yulong. Ein kleineres und ruhigeres Gewässer, das südlich von Yangshuo im Li Jiang mündet. Ein holpriger Weg führt durch saftig-grüne Felder. Die Kleine, die bequem im Kindersitz auf dem Fahrrad ihres Vaters sitzt, winkt Bäuerinnen mit Strohhüten zu. Die Große tritt fleißig in die Pedale, begeistert, dass wir bei einem lokalen Fahrradverleih ein Tandem ergattert haben.
Gegen Mittag erreichen wir ein Dorf, das sich zu beiden Ufern des Flusses erstreckt. In einem kleinen Restaurant am Ufer des Flusses lassen wir uns nieder. Erwartungsvoll blickt uns eine Kellnerin an, ich wühle in meiner Tasche nach dem Mobiltelefon. Um uns trotz mangelnder Sprachkenntnisse unterwegs ernähren zu können, hatte eine Freundin aus Peking uns zwei Tipps mit auf den Weg gegeben. Den Ausdruck „Zhè gè“, der übersetzt so viel wie „das da“ bedeutet. Und den Fototrick: die chinesischen Zeichen der Grundnahrungsmittel von internationalen Speisekarten in Peking mit der Handykamera abfotografieren und im Landesinneren den Kellnern zeigen.
Flößer am Ufer harren auf Ausflügler. Auch unsere Große möchte Floß fahren. Flink springt ein Mann herbei, hievt das Tandem auf sein Floß und zeigt auf zwei Stühle, die als Sitzgelegenheit dienen sollen. Dazu liegen zwei orange Rettungswesten bereit. Mein Mann und ich beschließen, uns flussabwärts wiederzutreffen. Für die zappelige Zweijährige ist ein wackeliges Floß nicht gerade ideal. Während sich die beiden wieder auf das Rad schwingen und den Uferweg ansteuern, legen unsere Große und ich ab. Dazu taucht der Flößer einen langen Bambusstab ins Wasser, stößt sich vom Grund ab und bugsiert uns zielsicher voran. Wir gleiten über das Wasser.
Unser Flößer versucht, mit dem Kind ins Gespräch zu kommen. Er spricht ein paar Brocken Englisch, die ich meiner Tochter übersetze. Sie antwortet, indem sie auf Dinge zeigt und „Zhè gè“ ruft. „Woman“, ruft der Flößer und zeigt auf einen Berg, dessen Form vage an die Silhouette einer Dame erinnert. „Der Berg sieht aus wie eine Frau“, übersetze ich. „Zhè gè?“, fragt meine Tochter den Flößer und fuchtelt mit dem Finger in die gleiche Richtung wie er. Der Flößer nickt. Auf diese Weise passieren wir Berge, die wie Fledermäuse anmuten, wie zwei erhobene Finger oder wie ein Huhn. Jedes Mal deutet der Bootsführer aufmunternd auf meine Kamera.
Dann schnappt sich unser Flussführer meine Kamera, um ein paar Bilder von meiner Tochter und mir zu machen. Seiner Meinung nach haben wir entschieden zu wenig fotografiert. Die Chinesen aber, die uns an der Anlegestelle erwarten, haben meinen Mann und unsere jüngere Tochter umringt und knipsen eifrig. Als sie unsere Ältere auf dem Floß entdecken, wenden sie sich begeistert uns zu, die Kameras im Anschlag. „Zhè gè Foto“, radebrecht meine Tochter und blickt den Flößer an. Die beiden nicken sich wissend zu. Dann heben sie gemeinsam die Hände und winken den Kameras zu.