Freiheit hat vier Reifen - Offroad-Tour durch die Pyrenäen
Queixans (dpa/tmn) - Zwischen Schluchten und Serpentinen, Gletschern und Seen wird irgendwo zwischen Frankreich und Spanien tatsächlich der Kopf frei. Die Trans-Pyrenäen-Tour führt Offroad-Reisende in die Natur.
Und an die Belastungsgrenze von Mensch und Wagen.
N 42 Grad, 23.565' E 001 Grad 54.964': die GPS-Koordinaten des Treffpunkts im kleinen spanischen Örtchen Queixans. Man findet den Campingplatz zwischen Perpignan und Andorra aber auch schlicht per Straßeneingabe im Navigationsgerät. Die Anreise aus Deutschland ist lang, geneigte Geländewagenfahrer dürfte das jedoch wenig stören.
Ankommen, am Fuße der Pyrenäen, Motor abstellen, Zelt aufbauen. Zur Begrüßung gibt es Bier, wärmende Schnäpse und eine Einweisung in den Notfallrucksack samt Defibrillator. Der erste Morgen bringt ein kurzes Frühstück mit Toast, Schmierkäse und Fachsimpelei. Winden, Dachzelte, Bullenfänger respektive Frontschutzbügel. Zeig du mir deins, ich zeig dir meins. Mit geübtem Auge kontrolliert Kfz-Meister und Tour-Scout Stefan den Zustand der Autos, verteilt Funkgeräte, sammelt Müllbeutel ein.
Bevor es richtig losgeht, ein Versorgungsstopp: frische Lebensmittel und Treibstoff. Dann endlich fahren, durch den Norden Kataloniens. Hinter einem Pass öffnet sich das gewaltige Gebirgsmassiv der Sierra del Cadi. Alte Schmugglerpfade führen in ein abgelegenes Hochtal, wo auf 2000 Metern Höhe zwischen Bergen und Bäumen das Camp für die Nacht aufgeschlagen wird.
Schwenkgrill, Holzkohle, Lagerfeuerromantik. Nicht nur für Trophy-Kerle mit Dreitagebart und Reibeisenhänden. Nein: Frauen und Kinder sind auch dabei. Und bekommen frei nach dem „Frauen-und-Kinder-zuerst-Schiffbrüchigen-Motto“ am Abend des ersten Allradabenteuertages auch prompt als Erste etwas zu essen.
Nassklamm ist die Nacht und der frühe Aufbruch willkommen. Die Motoren der liebevoll mit klingenden Namen wie „Rußpfötchen“ oder „Ölkännchen“ getauften Fahrzeuge brummen auf. Eine vergessene Versorgungspiste einer Wetter-Station führt auf 2500 Meter über dem Meer. Tiefgraue Wolkenballen lassen die atemberaubende Schlucht neben der Strecke noch tiefer erscheinen. Langsam beißen sich die Boliden durch den Berg. 12.30 Uhr: Die Stoßdämpfer am ersten Wagen versagen. Kfz-Mechatronikermeister Stefan hat Ersatz dabei, schraubt, testet, wenig später geht es weiter.
Nächster Halt: Andorra. Bedächtig rollt die Kolonne Richtung Stadtkern. Die ältere Dame in ihrer weiß gestärkten Bluse mit dem Krückstock am Kreisverkehr muss dann doch zweimal hinsehen. Während Max Frisch im Hinterkopf leise „Aaaaaandorra“ flüstert, türmen sich hohe, graue Neubauten zwischen steilen Felswänden auf. Wo bitte sind die weißgetünchten Häuser? Stattdessen Fast-Food-Ketten, Tankstellen, Einkaufstempel. Proviant kaufen, tanken, raus. Der Aufenthalt ist kurz, und das ist kein Verlust.
Ein Blick über die Wiese am dritten Morgen bestätigt: Die Geländewagen haben längst Einheitsfarbe angenommen — matschspritzerbraun. Ölstände werden geprüft, Zelt, Campingstühle und -tische verladen, weiter. Es riecht nach Kiefer, neben dem Fenster rauscht der Rio Noguera.
Adler kreisen zwischen den Gipfeln des Maladeta-Massivs. Bob Marley singt dazu aus dem Radio von Reggae und Sonnenschein. Unwirklich. Wie die Pisten, die sich in Serpentinen zum Tal winden, und die türkisblauen Gebirgsbäche, die zu durchqueren sind.
So mancher, der sein Geländeschätzchen bislang poliert in der Garage gehalten hat, entscheidet sich im Eifer des gemeinsamen Gefechts nun, den Wagen johlend seiner wahren Bestimmung zuzuführen.
Kurz drauf meldet sich ein beunruhigendes Geräusch. „Ssssst“, monoton und konstant. Die spitzen Steine der Geröllpfade fordern ihr erstes Opfer. Reifenpanne. Und dann sind es doch die Männer, mittlerweile mit Dreitagebart, die unter den Wagen kriechen.
Am letzten Morgen kokettiert die Natur mit paradiesischem Überfluss. Klöster säumen die Strecke. Deren Besichtigung hat fast Alibi-Charakter, endlich mal etwas anderes fotografieren als Autos und Landschaft.
Dann rauschen die Fahrzeuge auf kleinen Landstraßen zügiger um die Kurven. Der Hund dürfte sich im voll bepackten Kofferraum neben Ersatzrad, Campingkocher und Kfz-Feuerlöscher gut geschüttelt ins heimische Körbchen wünschen. Was bleibt, ist Abschied. „Jeden Tag das Zelt auf- und abbauen, das Auto sanddreckig, immer Dosenfutter — man muss schon verrückt sein, um das Urlaub zu nennen“, überspielt einer der Teilnehmer die sich anbahnende Stille. Keiner will, jeder muss zurück. Nach Deutschland, Österreich oder in die Schweiz. Zurück zu Toiletten mit Spülung, fließendem Wasser, Doppelbett und Garage. Die Bilder von Freiheit aber, die bleiben im Kopf. Und sie werden wach, sobald der Motor brummt.