Goldgräberstimmung in Lens: Von der Mine in den Louvre
Lens (dpa/tmn) - Im vergangenen Jahr Dezember hat der Pariser Louvre seine Zweigstelle in Lens eröffnet. Seitdem herrscht in der ehemaligen Bergbau-Stadt in Nordfrankreich Goldgräberstimmung. Das Museum wurde direkt auf einem alten Schacht errichtet.
In der rechten Hand ein Bajonett, in der linken die blau-weiß-rote Fahne, Symbol der Revolution von 1789: Die Frau mit der entblößten Brust führt das französische Volk an. Seit das Bild „Freiheit“ von Eugène Delacroix vom Louvre in Paris nach Lens in die neue Dependance des Museums umgezogen ist, herrscht in dem einstigen Kohlestädtchen Aufbruchstimmung.
Stolz überreicht Benjamin Micheli seine Visitenkarte. „Made in Lens“ steht vor weißem Hintergrund in schwarzen Buchstaben geschrieben. Der 29-Jährige ist Kreateur, wie darauf weiter zu erfahren ist. Das Unternehmen ist noch jung. Vor zwei Jahren begann Benjamin, seine Prêt-à-Porter-Linie zu entwerfen. Sein Ziel: Zu zeigen, dass Lens modern und schick sein kann. „Ich will mit meiner Mode das Bild der Stadt als Metropole der Tristesse verändern.“
Benjamin ist viel in der Welt herumgekommen. „Ich habe in New York, London, Mailand und Berlin gearbeitet. Überall war man stolz auf seine Stadt und hatte etwas, mit dem man sich identifizieren konnte“, erzählt der Jungunternehmer. Nach dem Motto „I love NY“ oder „Berlin, arm aber sexy“ schuf er „Made in Lens“. Städte, die nicht viel gemein haben, außer dass ihre Slogans einen ähnlich gelagerten Hintergrund haben. Mit der Marketingkampagne „I love New York“ wollte man in den 1970er Jahren das schlechte Image der Stadt ändern und den Tourismus ankurbeln. Damals war New York als Hochburg der Gewalt- und Drogenkriminalität verschrien.
Mit „Made in Lens“ wirbt Benjamin auch auf T-Shirts, Kochschürzen und Verpackungspapier für seine Geburtsstadt. „Gründe gibt es mittlerweile genug“, erklärt der Jungunternehmer. Dem verarmten Kohlestädtchen mit rund 30 000 Einwohnern ist in den vergangenen zwei Jahren tatsächlich viel Gutes widerfahren. Im Jahr 2012 wurde das nordfranzösische Kohlerevier zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt und noch im gleichen Jahr Anfang Dezember die 150 Millionen teure Louvre-Zweigstelle eröffnet.
Noch gehört Lens zu den ärmsten Städten Frankreichs, Touristen machten bislang meist einen Bogen um die Stadt. Doch mit dem neuen Museum könnte sich das bald ändern. In Lens ist Bewegung gekommen. Vor einem Jahr hat sich Philippe Olivier auf dem Boulevard Emile Basly niedergelassen, der Haupteinkaufsstraße von Lens. Olivier wurde 1996 als bester Käsehersteller Frankreichs ausgezeichnet.
Auch Erick Helminiak glaubt an einen Neustart. Dem 52-Jährigen gehört „Le Pain de la bouche“ in der Rue de la gare nur wenige Schritte vom Bahnhof entfernt. Der Chefkoch hat das urgemütliche Estaminet, die flämische Variante eines Bistros, im Vintage-Stil vor zwölf Jahren gegründet. Die Faluche, eine Art Pizza-Soufflée, gibt es einzig bei ihm - und nur unter der Woche. Das soll sich bald ändern. Erick will seine Öffnungszeiten ausdehnen und samstags und sonntags arbeiten. „Der Louvre-Lens hat die Stadt sichtbar belebt, vor allem am Wochenende. Da herrschte hier bislang tote Hose.“
Das Verkehrsbüro ist erst vor wenigen Wochen in die zentrale Bahnhofsstraße gezogen. Der Tourist kann die Straße kaum verfehlen, wenn er aus dem Art-Déco-Bahnhof tritt. Ebenso wenig den weißen riesigen Pfeil auf der gegenüberliegenden Hauswand, der in die Richtung des neuen Museums weist. Man braucht nur dem mit Skulpturen gesäumten Fußgängerweg zu folgen, um 15 Minuten später auf einer sanften Anhöhe das silbrig spiegelnde Museum zu entdecken: niedrige Kuben aus Glas- und Aluminium.
Der Louvre-Lens wurde auf dem ehemaligen Schacht 9 errichtet. In der Blütezeit des Kohleabbaus gab es in der Stadt und Umgebung 19 dieser bis zu 1000 Meter tiefen Gruben. Die letzte Zeche wurde vor über 20 Jahren geschlossen. Heute erleben Fördertürme und Abbauhalden als Touristenattraktion ihren zweiten Frühling.
Die Halden, auf Französisch Terrils, will Benjamin auch vermarkten. Den Slogan „Crazy Terrils“ könne er sich gut vorstellen. So verrückt, wie sich das Schlagwort anhört, ist es nicht. Auf einem der schwarzen Walbuckel kann man Ski fahren und auf den beiden Terrils Jumeaux - sie gleichen sich wie ein Ei dem anderen - wandern. Von der Mine in den Louvre: Lens befindet sich in einem Wandel, der förmlich nach Umbruch riecht.