„Luftsnappers“ und „Baders“: Ein Bummel durch Binz
Binz (dpa/tmn) - Binz verdankt seine Entstehung einer Hochstapelei. Der Erfolg war nachhaltig. Strandpromenade und Seebrücke ziehen Touristen schon im Frühjahr an. Die ersten Wagemutigen baden in der Ostsee, wenn es nachts noch geschneit hat.
Der Wind bläst unerbittlich an diesem Aprilmorgen, in der Nacht hat es noch einmal geschneit, die gefühlte Temperatur liegt weit unter dem Gefrierpunkt - und doch stürzen sich einige Wagemutige in die Ostsee. Baden soll gesund sein - das glaubten schon die Urlaubsgäste, die Anfang des 19. Jahrhunderts auf die Insel Rügen nach Binz kamen. Oder dem, was es davon damals gab.
Denn der Ort verdankt seine Entstehung nur einer Hochstapelei: 1816 wurde Putbus zum Seebad erklärt — dummerweise lag es gar nicht am Wasser. So ließ Fürst Wilhelm Malte I. die Gäste zum Baden nach Binz kutschieren. Dort fehlte es an allem - Binz war ein Dorf mit rund 100 Einwohnern. Die Badegäste wurden anfangs mit Pferdekarren ins Wasser gefahren. Erst nach und nach entstanden Umkleidehütten und Badestege, später Hotels und das Kurhaus.
Die Einheimischen betrachteten die „Baders“, „Strandlöpers“ und „Luftsnappers“ weiterhin eher skeptisch. Wer heute durch die Straßen des Ostseebades bummelt, mag diese Geschichte nicht so recht glauben. Schon in der Vorsaison sind die Hotels gut gebucht, bei den ersten Sonnenstrahlen sitzen die Gäste auf den Terrassen - und im Sommer kommen sie in Massen.
Erhalten geblieben ist die besondere Architektur des Ortes. Einer der fast jedes Haus kennt, ist Klaus Boy. Vor allem die Putbuser Straße hat es ihm angetan. „Nirgends zeigt sich die besondere Architektur von Binz so gut wie hier“, sagt er.
Bereits 1883 hatte Fürst Wilhelm Malte I. beide Seiten des Strandweges parzellieren lassen. Zügig wurden Häuser in die Höhe gezogen — vor allem Logierhäuser. Das älteste Haus, die Villa Wende, ist bis heute erhalten. Das Merkmal, das dem Besucher direkt ins Auge sticht, ist die weiße Farbe. „Alle drei Jahre muss nachgebessert werden“, erzählt Boy.
Die salzige Ostseeluft nagt an den Fassaden. Weitere Merkmale der Logierhäuser, die eine Schlafstatt aber kein Essen boten, waren die Veranden und Loggien. „Wer es sich leisten konnte, baute noch Türmchen und Erker an“, erzählt Boy. „Da entstand ein richtiger Wettbewerb um den meisten Schnickschnack.“ Dass die Putbuser Straße ein ganzes Stück vom Meer entfernt lag, störte damals keinen der Gäste. „Man wohnte nicht am offenen Meer“, erzählt Boy, „das erschien vielen als zu gefährlich.“
Wilhelm Klünder erntete mitleidiges Kopfschütteln, als er sein Hotel mit unglaublichen 140 Betten direkt an den Strand baute. Doch er hatte Erfolg — und fand Nachahmer. So entstand nach und nach die Strandpromenade von Binz, die inzwischen in neuem Glanz erstrahlt.
Aus der Zeit der ersten Hotelbauten am Wasser stammt auch eine weitere Sehenswürdigkeit: die Seebrücke. An ihr legen seit 1902 Schiffe an. Vor allem aber flanieren hier die Besucher und lassen sich den Ostseewind um die Nase wehen - wie einst die „Luftsnappers“.