Amerikas Nordwesten auf dem Highway 101
Florence (dpa/tmn) — Der pazifische Nordwesten ist eine der abwechslungsreichsten Regionen der USA. Urlauber können am selben Tag im Hochgebirge wandern und die Ozeanbrandung heranrauschen sehen. Entlang des Highway 101 warten viele Überraschungen — und Adrenalinkicks.
Benjamin Raia schaltet einen Gang zurück und jagt den Buggy die nächste Düne hoch. Er schneidet den Hang an, der feine Sand wirbelt auf, und das Stahlrohrgerüst mit dem Überrollbügel gerät bedenklich in Schräglage. Benjamin steuert gegen, legt den Ganghebel nochmals um und schießt mit Vollgas und Tempo 90 die Düne herab — um sofort die nächste in Angriff zu nehmen.
„Wenn Du schreien möchtest, lass den Mund zu“, hatte beim Einsteigen eine Touristin geraten, die ihre Fahrt im offenen Buggy durch die Dünen von Oregon gerade beendet hatte. Tatsächlich sitzt der Sand inzwischen überall: in den Haaren, den Ohren, den Nasenlöchern. Doch das ist egal, als Benjamin auf dem Dünenkamm den Motor stoppt und der Blick über die weiten Sandberge fällt. Im Westen blinkt in der Ferne der Pazifik.
„Eine halbe Stunde Achterbahnfahrt“ versprechen die Anbieter der Buggytouren in der Oregon Dunes National Recreation Area, wie der etwa 50 Kilometer lange Küstenabschnitt zwischen Florence und North Bend offiziell heißt. Mehrere Kilometer weit ragen die Dünen in das Landesinnere, an vielen Stellen bis an den Highway 101 heran.
Der knapp 2500 Kilometer lange Highway 101 ist in den USA eine der beliebtesten Urlauberrouten. Er führt über die Golden-Gate-Brücke bei San Francisco und bringt Touristen nach Santa Barbara ebenso wie zu den Redwood-Baumgiganten. Bevor er aber diese berühmten Abschnitte in Kalifornien erreicht, verläuft der 101 durch die Staaten Washington und Oregon. Nördlicher Ausgangs- und Endpunkt ist Olympia, eine Stadt südwestlich von Seattle.
Am Anfang stehen die Berge: Bis zu 2424 Meter hoch, stemmen sich die vergletscherten Spitzen der Olympic Peninsula den Pazifikwinden entgegen. Bei Port Angeles zweigt eine gut ausgebaute Straße vom 101 ab, die in den Olympic Nationalpark hinein zur Hurricane Ridge führt. Vom Meeresniveau geht es durch etliche Kurven bis auf 1598 Meter hinauf. Im Besucherzentrum bieten Ranger 20-minütige Vorträge über Flora und Fauna an oder nehmen Touristen auf einstündige Rundgänge mit. Fast immer in der Nähe sind Rehe, die sich auf den sattgrünen Bergweiden ihr Futter besorgen. Auch auf dem Parkplatz muss stets mit ihnen gerechnet werden.
Von Hurricane Ridge aus ist der Elwha River sichtbar - ein Fluss durch den Nationalpark, der seit September 2011 renaturiert wird. Südwestlich von Port Angeles sind der 1913 gebaute Elwha-Damm und der 1927 errichtete Glines-Canyon-Damm abgerissen worden. Zwei Stauseen verschwanden dadurch, und die Lachse erreichen erstmals seit rund 100 Jahren vom Pazifik aus wieder ihre alten Laichgewässer in den Bergen.
In Oregon führt der Highway 101 meist dicht am Ozean entlang, wo sich mehrere hübsche Strandorte aneinanderreihen. An Sommer-Wochenenden sollten Touristen allerdings Seaside und Cannon Beach besser meiden - dort lässt sich dann die halbe Bevölkerung von Portland die Seebrise um die Nase wehen. Hauptanziehungspunkt in Cannon Beach ist der Haystack Rock, ein rund 70 Meter hoher Felsen, der nahe am Strand aus dem Meer ragt und neben unzähligen Seevögeln auch viele Fotografen fasziniert.
Vom Highway 101 aus bieten sich immer wieder weite Ausblicke über den Pazifik. Im Vergleich zu Washingtons Westküste ist Oregon hier jedoch dicht besiedelt, auf der Fahrt nach Süden folgt ein Ort dem anderen, darunter Tillamook, Lincoln City und Newport, wo männliche Seelöwen laut brüllend den Hafenpier bevölkern. Allerdings nicht von Juni bis August, wenn sie nach Süden ziehen, um Weibchen zu treffen. Wer sie in dieser Jahreszeit sehen möchte, kann sie in der Sea Lion Cave treffen, Amerikas größter Seelöwenhöhle, die nördlich von Florence durch einen Fahrstuhl von einer Klippe aus erreichbar ist.
Südlich von Florence beginnen die Dünen. Während am Abend langsam die Sonne hinter den Dünen versinkt, sind in der Ferne noch immer die aufheulenden Motoren einzelner Buggys zu hören. „Wir bleiben einen Tag länger“, sagt eine Touristin zu ihrem Mann - zurück auf den Highway 101 geht es ja auch so noch früh genug.