Runtalya: Der Lauf ist das Ziel
Türkei: Der Runtalya ist auf Rekordkurs. Insgesamt 6500 Teilnehmer kann Gastgeber Öger Tours stolz vermelden.
Antalya. Die letzte Minute ist angebrochen. Ceren strahlt, als ob sie nicht wüsste, dass es gleich auf jede Sekunde ankommt. Die junge Türkin lässt sich beim Runtalya einfach nicht aus der Ruhe bringen. Erstaunlich, was sie alles nicht tut. Sie trinkt kein letztes „Powergetränk“, sie schaut nicht permanent auf ihre Pulsuhr, sie zieht nicht noch einmal die Schnürsenkel fest. Was aber dann?
Ceren macht das, was keinem überambitionierten Läufer kurz vor dem Start in den Sinn käme: Sie zückt das Mobiltelefon, hält es so weit wie möglich auf Abstand, strahlt in die integrierte Kamera und drückt auf den Auslöser. Drei, zwei, eins — fertig. Das Foto ist gepostet, die eigentliche Herausforderung kann beginnen.
Alle Nebenstehenden können da nur staunen: Während Ceren ihr Foto locker-lächelnd ins weltweite Netz stellt, um allen mehr oder weniger sportlichen Bekannten zu beweisen, dass sie gleich zehn Kilometer hinter sich lassen möchte, stellen andere lieber ihre Stoppuhren auf Null — die neue Zeitrechnung kann beginnen. Denn der Runtalya ist auf Rekordkurs: 3870 Athleten, so viele wie noch nie, warten nur darauf, dass die Massenbewegung beginnen kann. In den drei Hauptdisziplinen Marathon, Halbmarathon und Zehn-Kilometer-Lauf begrüßen Sportler aus 37 Nationen den Frühling.
Bei Öger Tours, dem Veranstalter des sportlichen Spektakels, macht man zu Recht eine ganz andere Rechnung auf: Zählt man die Volks-, Bambini- und High-Heels-Läufe dazu, die traditionsgemäß am Vortag der Haupt-Wettbewerbe stattfinden, kommt der achte Runtalya auf insgesamt 6500 Teilnehmer. Der Lauf entlang der Küste war ursprünglich vor allem für deutsche Bucher gedacht und sollte die Nebensaison ans Laufen bringen.
Spitzenläufer sind auch heute nicht das oberste Ziel, Touristen aber umso willkommener. Und die wissen spätestens nach dem fröhlichen „Stöckelschuh-Sprint“ über die 100-Meter-Distanz: Wer laufend Erfolg haben möchte, muss bestens präpariert sein. Also werden Absätze kurz vor dem Start mit Klebeband „laufsicher“ gemacht — den schmunzelnden Zuschauern gefällt’s.
Dabei ist eins nicht zu übersehen: Machten in den Vorjahren mehr deutsche als türkische Anfeuerungsparolen die Runde, sind inzwischen immer mehr Einheimische dabei. Kein Wunder, bei angenehmen Frühjahrstemperaturen führt der Hauptweg auf weiten Strecken direkt an der wunderschönen Küste entlang.
Im Hintergrund dürfen die schneebedeckten Gipfel der lykischen Beydaglari-Gebirgskette bestaunt werden, und zwischendurch kann man schon mal von der Belohnung träumen — von einem Besuch im Hamam, von einer Bootsfahrt, die am besten im Hafen von Antalya startet, oder von einem gemütlichen Bummel durch die Altstadt, bei der die Stoppuhr zu Hause bleibt.
Ohnehin werden die schmerzenden Beine schnell vergessen, wenn Folkloregruppen am Straßenrand den Läufern zuwinken. Viele nutzen die willigen Models für eine willkommene Laufpause — für einen Foto-Stopp.
Andere werfen die Wasserflaschen, die an den Verpflegungsständen gereicht werden, am Ende nicht weg, sondern beglücken mit den letzten Tropfen die Pflanzen. Blumengießen im Vorbeigehen — auch das zeigt, dass beim Runtalya der Weg das Ziel ist. Selbst wenn so mancher hungrig seufzt, weil er an Imbiss-Ständen vorbeilaufen muss, die der Volksmund „Dönerbörse“ nennt — weil die Fleischmenge nach Gramm bezahlt wird.
Auch Ceren nähert sich dem Ziel. Zwar benötigt sie für zehn Kilometer länger als manch andere für die Halbmarathon-Distanz. Aber das macht nichts: Ihr Strahlen ist nicht auf der Strecke geblieben. Nach mehr als eineinhalb Stunden hat sie es geschafft — und noch genug Puste, um ihr Telefon zu zücken, ein neues Foto ins Netz zu stellen und die Lieben daheim lächelnd auf dem Laufenden zu halten.