Kanareninsel: Insel der Kontraste
Vulkane, Wald, Berge und Meer: Die Kanareninsel ist ein Naturparadies. Auf den Spuren der Guanchen lässt sich sogar Geschichte erwandern.
Kanaren. Klack, klack, klack. Beständig ist das Geräusch zu hören, von ganz weit oben aus den schroffen Felsen. Wie ein Metronom, das nur vom Pfeifen des Windes und dem entfernten Rauschen der Brandung übertönt wird. Klack, klack, klack. Beharrlich schlägt der Mann in dem ledernen Lendenschurz mit einem Stein auf den anderen, bis er sein Werkzeug fertiggestellt hat: eine flache Scheibe mit scharfen Rändern. Immer wieder hält er dabei Ausschau übers Meer. Weit und breit ist nichts zu sehen auf dem dunkelblauen Atlantik, dessen Wellen sich an der steilen Südküste brechen.
Als es dunkel wird, beginnt der Mann mit den schwarzen Haaren und dem Zottelbart seinen Heimweg. Steigt barfuß vom Berg hinab in eine Schlucht mit beinahe sanft geschwungenen Steilwänden, glatt geschliffen vom beständigen Wind. Er geht zur Höhle seiner Familie. Ein paar Ziegen und Schafe rupfen davor an der kargen Vegetation herum, bald wird es Zeit für die nächste große Wanderung. Hinüber über die Berge zur Nordseite, auf der es mehr Grün gibt, mehr Futter für die Tiere. Doch jetzt ist erst einmal Zeit fürs Abendessen: Frischer Fisch, den seine Söhne tagsüber gefangen haben. Seine Töchter zeigen stolz die Ketten aus Muscheln und kleinen Knochen, die sie tagsüber gebastelt haben.
Am nächsten Morgen wird der Vater wieder den Berg erklimmen, neues Werkzeug hämmern und über den Ozean blicken. Und eines Tages wird er sie erspähen, die spanischen Eroberer, die den Untergang der Guanchen bedeuten. Die sie versklaven oder töten. Obwohl die Guanchen friedliebende Menschen sind und im Einklang mit der Natur leben. Bald sind die Ureinwohner Teneriffas nur noch ein längst vergangenes Kapitel in den Geschichtsbüchern.
Man hat ihre Höhlen gefunden und sie bei San Blas im Süden unter Naturschutz gestellt, Wanderwege führen durch das aus Vulkanen entstandene Areal. Wer dort unterwegs ist, begibt sich auf eine Zeitreise. Das angeschlossene interaktive Museum zeichnet die Geschichte nach: Als sie etwa 500 v. Chr. aus Nordafrika nach Teneriffa kamen, die unwirtliche, neue Heimat besiedelten und Ackerbau betrieben. Vieles ist noch unerforscht, so sind noch längst nicht alle Höhlen gefunden, in denen sie ihre in Leder eingewickelten Toten bestatteten. Verborgen in den steilsten Hängen der Berge, geschützt durch Steine, die den Eingang verdecken.
Teneriffa ist ein Wanderparadies — ob nun auf den Spuren der Guanchen oder auf der Suche nach Kontrasten. Die gibt es reichlich auf der größten Insel des Kanarischen Archipels. Vom trockenen, sonnenverwöhnten Süden bis in den feuchten Norden, dessen Küste fast immer wolkenverhangen ist, ändern sich die Farben der Landschaft von beige-braun hin zu sattem Grün.
Wer die Gegensätze erleben will, startet seine Touren am besten im Norden, bei La Laguna oder Punta del Hidalgo. Ein dichtes Wegenetz führt von beliebten Ausgangspunkten, wie beispielsweise dem Cruz del Carmen nahe Las Mercedes, durch die Wälder. Doch der Reiz im Norden ist ein anderer: Rauf ins Anaga-Gebirge und rein in naturbelassene Wälder.
Der Pfad misst an seiner breitesten Stelle gerade einmal 30 Zentimeter. Hüfthohe Farne ragen rechts und links darüber, Spinnen weben in aller Ruhe ihre Netze. „Hier bleibt alles so, wie es wächst“, erzählt Fatima und bleibt mit dem Rucksack an einem Ast hängen. Der Einstieg in den Weg war von der einzigen schmalen Straße, die sich in engen Serpentinen durch das Massiv windet, kaum zu erkennen. So soll es auch sein, denn Massentourismus ist das letzte, was dieses Naturschutzgebiet braucht.
„Man benötigt eine Erlaubnis für diese Wege“, sagt die Wanderführerin. Die ist kostenlos online zu bekommen und kontrolliert wird wohl auch niemand. Die Wege sind kaum markiert, das hält viele ab. Aber gerade deswegen genießen Naturfreunde dort eine besondere Stille und einen betörenden Duft, den die Baum-Erika verströmt. Süß, würzig und intensiv erinnert sie an Nadelwald — und das mitten im kanarischen Laurisilva: Lorbeerbäume, Farne und Efeu — soweit das Auge reicht nur Grün.
Normalerweise ist es feucht und kühl dort oben, Nebelschwaden verschleiern die Wälder, Feuchtigkeit perlt glitzernd von den Blättern. Im Sommer kann es aber auch auf dem rund 1000 Meter hohen Grat des Anaga-Massivs heiß werden. Dann hängen die Wolken weiter unten, verhüllen geisterhaft die tiefer gelegenen Bergspitzen und die winzigen Orte, deren Häuschen sich an die steilen Hänge klammern. Das Besondere an diesen Routen ist, dass es Ausblicke zu beiden Küstenseiten gibt: Wie ein Dach ist der Berg unterhalb seines Rückens geformt, zu Füßen des Massivs, das die Nordspitze der Insel bildet, liegt ringsum die Küste.
Unterwegs im Teide-Nationalpark faszinieren die Gesteinsformationen, die viele Vulkanausbrüche haben entstehen lassen. Glatte Flächen, die aussehen, als wären sie eben noch flüssig gewesen, raue, kantige von Erosion ausgehöhlte Felsen, von Oxidation gefärbte Gesteinsschichten oder steile Wände, durch die regelrechte Lava-Adern geflossen und zu schrägen Linien erstarrt sind. Eine Jahrtausende alte Landschaft, imposant und reich an Legenden. Den Guanchen der Teide heilig, weil der böse Gott Guayota in seinem Krater gefangen war und die Menschen regelmäßig mit Vulkanausbrüchen bestrafte. Um das zu verhindern, beteten sie. Brachten Opfergaben, damit es regnete, bewegten riesige Felsbrocken, um vor ihnen niederzuknien. Sie lebten mit einem ausgeprägten magischen Glauben, dessen Zentrum der Teide war.
Der Schichtvulkan ragt 3718 Meter in die Höhe und dominiert ganz Teneriffa. Das Gebiet um den Vulkan herum steht seit 1954 unter Schutz, eine Kabinenseilbahn bringt Besucher dem Gipfel näher. Wer bis ganz hinauf will, muss das letzte Stück zu Fuß gehen — auf einem anspruchsvollen Klettersteig. Aber auch in einer Höhe von nur knapp 2200 Metern und bei ständig blauem Himmel macht das Wandern Spaß, Guides stehen kostenlos zur Verfügung. „Wir werden von der Regierung bezahlt und führen zweimal am Tag kleine Gruppen durch den Park“, sagt Idaira. 37 markierte Pfade gibt es im Park. „Es ist streng verboten, Steine mitzunehmen“, sagt Idaira. „Klar, wir haben Millionen davon. Aber wir haben auch Millionen Touristen.“
Die fallen mittags alle gleichzeitig mit Reisebussen ein, hunderte Besucher, die wie Perlen an einer Schnur die Hänge bevölkern. Allerdings nur für kurze Zeit, dann ist der Spuk vorbei und es kehrt wieder Ruhe ein über den rot-braunen Felsformationen, die in der Sonne strahlen und im Mondlicht eine bizarre Gestalt annehmen. Über den weiten Ebenen, in denen sich bei Regen kleinen Seen bilden. Über dem Teide, dem höchsten Berg Spaniens, in dem tief unten Guayota sitzt. Zuletzt hat er 1909 heiße Lava über der Insel ausgeschüttet, seitdem scheint er beruhigt. Wer weiß, wie lange . . .
Die Autorin reiste mit Unterstützung des Tourismusamtes Teneriffa.