Marseille: Das Ruhrgebiet Frankreichs
Nur langsam entwickelt sich die Kulturhauptstadt 2013 zu einem beliebten Touristenziel.
Düsseldorf. Marseille ist eine Stadt des Wandels. Eben dieser Wandel ist die einzige Konstante in der 2600 Jahre alten Geschichte. Allein im 19. Jahrhundert wuchs die Stadt in der Provence mit dem Rückenwind der Industrialisierung und der Eröffnung des Suezkanals 1869 zur wichtigsten Hafenstadt des Landes.
Um das Jahr 1900 wanderte eine Vielzahl von Italienern, nach dem Zweiten Weltkrieg und der Verwaltung durch das Vichy-Regime viele Algerier sowie Bewohner der französischen Kolonien aus dem Maghreb und Schwarzafrika ein. Eine Touristenstadt war Marseille bei alledem nie. Stattdessen eben das „Tor zum Mittelmeer“, eine Hafen- und Einwanderungsstadt unter dem Einfluss verschiedener Kulturen, ein Kosmopolit unter den europäischen Großstädten.
Das soll sich jetzt ändern. 2013 werden Marseille und die Provence das sein, was Essen und das Ruhrgebiet bereits 2010 waren: die Kulturhauptstadt Europas. Acht Millionen Besucher aus ganz Europa werden übernächstes Jahr in der Region erwartet. Deshalb trägt die Stadt momentan Schminke auf.
Der nächste Wandel steht ins Haus. Überall wird gebaut. Allein fünf Kräne stehen am Ufer zum Mittelmeer. Die Skyline der Stadt gleicht einer Riesenbaustelle. Beinahe täglich scheint sich ihre Silhouette zu verändern. Die Vorbereitungen auf das Großprojekt Kulturhauptstadt sind in vollem Gange. Es entstehen Museen und Veranstaltungsorte.
Der Grund, warum Marseille sich in der Endausscheidung gegen die Konkurrenz aus Toulouse, Lyon und Bordeaux durchgesetzt hat? „Stadt und Region haben es einfach am nötigsten. Das ist für uns ein guter Ausgangspunkt“, erklärt Ulrich Fuchs, stellvertretender Intendant des Projekts, der in gleicher Funktion sechs Jahre lang schon für die Kulturhauptstadt Linz 2009 arbeitete.
So fließt in Marseille und dem „Territoire“ seit langem wieder Geld. Allein 600 Millionen Euro werden in die neue kulturelle Infrastruktur investiert. Eine „kulturelle Identität“, sagt Fuchs, müsse in Marseille geschaffen werden. „Das Kulturprojekt ist ein Katalysator, um andere Projekte in Gang zu setzen.“
Doch nicht nur das Stadtbild ändert sich, auch die Einstellung der Marseillais. Denn trotz oder gerade wegen ihrer Einwanderungsgeschichte sind die Stadtbewohner große Skeptiker. Fremde werden zwar stets willkommen geheißen, Neues wird jedoch erst einmal etwas misstrauisch betrachtet. Beim Spaziergang sieht und spürt der Tourist den Wandel.
Er ist allgegenwärtig. Allein der Ausblick von der auf einem 147 Meter hohen Berg gelegenen Basilika Notre-Dame de la Garde gibt Aufschluss über fremden Einflüsse. Der zauberhafte Blick offenbart von hier oben nicht nur das Mittelmeer im gleißenden Licht der Sonne, sondern ebenso den alten Hafen Vieux Port und eine Vielzahl von kleinen und großen sandfarbenen Häusern, die das Stadtbild prägen.
Am auffälligsten ist jedoch das futuristisch anmutende Bürogebäude und Hochhaus CMA/CGM der Architektin Zaha Hadid. Es wirkt wie ein Fremdkörper in der sonst so kleinteiligen Stadt. Über Sinn und Unsinn des Gebäudes streiten sich die Einheimischen mit Leidenschaft.
Die Leichtigkeit des französischen Lebensgefühls lässt sich hervorragend im alten Hafen erkunden. Auf einen Pastis, den traditionellen Apéritif der Provence, in einer der unzähligen Gaststätten und eine Bouillabaisse, der typischen Fischsuppe.
Ebenso lohnenswert ist eine Hafenrundfahrt in einer traditionellen Marseiller Bake, der „Pointu“, hinaus zur kleinen, aus Alexandre Dumas’ Roman „Der Graf von Monte Christo“ bekannten Insel, dem Château d’If.
Spannend ist auch ein Rundgang durch das Quartier du Panier nördlich des Hafens. Zwar wurde ein Teil des „Paniers“ rund um das Rathaus unter dem Vichy-Regime während des Zweiten Weltkriegs gesprengt, hinter den Neubauten liegt jedoch das alte, beinahe unberührte „Panier“. Hier führen lange Treppen und schmale Gässchen durch den alten Kern Marseilles.
Mittendrin befindet sich das Vieille Charité, das ehemalige Armenhaus und heute die Heimat der sehenswerten Museen der afrikanischen, ozeanischen und indianischen Künste sowie des Archäologie-Museums.