Megève am Mont Blanc: Wo Baronin Rothschild ihr Skiglück fand
Megève/Chamonix (dpa/tmn) - Im Sommer trifft sich Frankreichs Haute Société an der Côte d'Azur, im Winter in Megève. Der feine Skiort nahe des berühmten Chamonix am Fuß des Mont Blanc ist très chic und dabei doch bodenständig.
Und das trotz seiner adligen Geschichte.
Im Winter 1916 hatte Baronin Noémie de Rothschild von St. Moritz endgültig genug. Frankreich brauche eine eigene Winterfrische in den Alpen, forderte die patriotische Adlige. Noch in der Schweiz beauftragte sie ihren norwegischen Hof-Skilehrer Trygve Smith, einen adäquaten Ort zu finden mit angenehmem Klima, einem offenen Tal, atemberaubendem Panorama und einem guten Ski-Berg.
In den Savoyer Alpen wurde Smith in Sichtweite des mächtigen Mont Blanc fündig. Das Dörfchen Megève erschien perfekt. Mit Smiths visionärem Blick und den Millionen der Rothschilds wurde Megève zum neuen Ziel der Schönen und Reichen, das bis heute die Genießer unter den Wintersportlern magisch anzieht.
Trotz feiner Hotels, Gourmet-Restaurants und dem jährlichen Schaulaufen der Pariser Haute Société hat Megève seinen bodenständigen Charme behalten. Megève hat zum Glück so gar nichts gemein mit den Retortenorten in den französischen Alpen. Statt Bettenburgen prägen Chalets das Bild. Rund um die Kirche stehen uralte Steinhäuser, dazwischen fügen sich ein paar moderne Gebäude harmonisch in das Gesamtbild ein.
„Unser Kirchplatz ist der schönste aller französischen Ski-Orte“, sagt Stefan Laude. Und dabei untertreibt der junge PR-Mann des Ortes noch. Das Zentrum von Megève ist eines der schönsten in den Alpen. In den Lokalen rund um den Kirchplatz steigt am Nachmittag der Après-Ski. Abends strömen die Ski-Urlauber in die Top-Restaurants wie das „Flocons de Sel“. Hier verwöhnt der mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnete Emmanuel Renaut seine Gäste mit einer virtuosen Küche mit fast ausschließlich regionalen Produkten.
Viele Franzosen kommen allein wegen Renaut, der Alpen-Romantik und wegen des Nachtlebens nach Megève. Ski und Snowboard sind für sie nur ein Teil des Winterurlaubs. „Diese Skifahrerei wird doch überschätzt“, meint Gérard aus Paris schmunzelnd und bestellt nach dem üppigen Mittagessen auf der „Idéal-Hütte“ noch einen Cognac.
Der Nachbar Chamonix ist berühmt für seine großartigen und anspruchsvollen Pisten und Gelände-Abfahrten. Das quirlige Bergsteigerstädtchen, in dem 1924 die ersten olympischen Winterspiele stattfanden, zieht gute Skifahrer und Tourengeher aus der ganzen Welt an. Allein für die Freeride-Abfahrt Vallée Blanche von der Aiguille du Midi im Schatten des Mont Blanc lohnt sich schon die Reise nach Chamonix.
Die Sportler sind in Chamonix, die Genießer in Megève. Dort sind die meisten Pisten leicht bis mittelschwer. Von den 221 markierten Abfahrten sind 43 grün, 64 blau, 80 rot und nur 34 schwarz gekennzeichnet. Sanft gewellte Hänge und schöne Waldabfahrten prägen das Bild. Zwischen 1113 und 2353 Höhenmetern erstrecken sich rund um Megève aber immerhin 445 Pisten-Kilometer, auf denen man sich auch in der Hochsaison problemlos aus dem Weg gehen kann. Allein Megève hat drei Skiberge.
Hier stehen auch die schönsten Hütten für das Mittagessen, das in Frankreich auch beim Skifahren zelebriert wird. Auf die riesige Terrasse der „Idéal-Hütte“ brennt die Sonne vom tiefblauem Himmel herunter. Vis-à-vis ragt das imposante Massiv des Mont Blanc in die Höhe. „Ein ordentliches Mittagessen dauert hier schon zwei Stunden“, meint Skilehrerin Helene, und dann lässt sie auftischen.
Hochsaison ist Promi-Zeit in Megève. Auch Ex-Staatspräsident Nicolas Sarkozy kam da mit Carla Bruni gern zur Winterfrische. „Auf den Pisten wird es aber auch in der Hochsaison nie zu voll“, erzählt Stefan. Gerade die französischen Hochsaison-Gäste starten spät am morgen, essen lang zu Mittag und beginnen den Après-Ski früh am Nachmittag. An Neuschneetagen findet man so selbst dann noch unberührte Hänge, wenn unten im Tal Hochbetrieb herrscht.
Und wenn es wirklich mal voll werden sollte, bleibt immer noch der Weg hinaus ins Gelände. Abseits der Pisten hat auch Megève einiges zu bieten. „Das Genießer-Skigebiet hat auch eine sportliche Seite“, versichert Stefan. Und der muss es wissen. Fast jeden Tag bricht er in seiner Mittagspause zu einer kleinen Skitour auf. Zurück ins Büro fliegt der passionierte Paraglider dann mit dem Fallschirm.
Zu den spektakulärsten Hängen zählen die extrem steilen Rinnen am Aiguille-Croche-Massiv über dem Cote-2000-Gipfel. Dank Stefan und seinem Kumpel Matthias Giraud ist die imposante Felswand in der Extrem-Skiszene weltberühmt. Giraud ist einer dieser Ski-Base-Jumper-Stars, die auf Skiern auf Abgründe zurasen, in die Tiefe springen und dann am Fallschirm ins Tal schweben. Bei einer gemeinsamen Tour an der Aiguille Croche löste der 28-Jährige kurz vor seinem Absprung eine Lawine aus. Als die Tonnen von Schnee die Wand hinunterstürzten, flog Giraud der Lawine davon.
Stefan schwebte mit seinem Fallschirm über der gespenstischen Szene und filmte Giraud. Das Video des Wahnsinnssprungs wurde im Internet mehr als vier Millionen Mal angeklickt. Baron Rothschild wäre sicherlich entzückt gewesen, hätte sie den ungeplanten PR-Coup für ihren Skiort noch miterlebt. So ein Internet-Video hat nicht einmal St. Moritz.