Schweiz Murten: Seefahrt der Wünsche
Künstler tauchen die mittelalterliche Altstadt von Murten im Schweizer Mittelland in geheimnisvolles Licht. Wer friert, der probiert Torte mit Doppelrahm.
Wer wollte noch nie einen Herzenswunsch auf große Fahrt schicken? Aber wenn es plötzlich so weit ist, muss man sich doch einen Augenblick besinnen. Stadtführerin Heidi Buschbauer hat einen schwarzen Filzstift mitgebracht. Platz ist für vier Wünsche auf den Seiten einer Papierlaterne. Die wird anschließend auseinandergefaltet, auf ein kleines Holzfloß gesetzt und in das Tiefschwarz des abendlichen Murtensees entlassen.
Die Temperatur ist knapp unter Null. Das hilft der Formulierung auf die Sprünge. Gesundheit, Frieden, Sonnenschein und Schokolade – pardon Schoki, schließlich sind wir in der Schweiz – kann schließlich jeder brauchen. Eine brennende Kerze hinein, und schon weist ein weiteres Licht mit guten Vorsätzen den Weg durch die Nacht. 5000 Wunschlaternen gingen im vergangenen Jahr auf Seefahrt, bevor sie am nächsten Morgen wieder umweltschonend eingesammelt wurden.
Als Ferienregion hat sich das Schweizer Mittelland in den Sommermonaten bestens entwickelt, seit man im 19. Jahrhundert das Wasser der umliegenden Moore mit Kanälen entwässert hat. Damit wurden der Bieler, der Neuenburger und der Murtener See verbunden und geben seither Gelegenheit zu einer entspannten Dampferrunde.
Fribourg hat
32 katholische Kirchen
Außerdem ist der Murtener See das wärmste Schweizer Gewässer. Baden, Wandern und Biken im schweizweit seltenen Flachland sorgen in Murten sommers für volle Hotelzimmer. Auch sehenswerte Orte wie Fribourg mit seinen 32 katholischen Kirchen und 200 gotischen Fassaden oder die Fondue-Käse-Stadt Gruyère sind nicht weit.
Doch im Winter war bislang stets tote Hose. Dann pfeift der Wind durch den auf einem Plateau über dem Seeufer liegenden mittelalterlichen Stadtkern mit den zwölf Türmen und den Kopfsteinpflasterstraßen, der heute vollständig unter Denkmalschutz steht. Seit vier Jahren ist das anders: Immer in der zweiten Januarhälfte, mit ausreichendem Abstand zu allen Weihnachtsmärkten, tauchen Künstler Murten in geheimnisvolles Licht.
Laternen, Lichter
und Installationen
Geheimnisvolle Gestalten tanzen in den Bäumen und hunderte flackernde Laternen bringen den Murtensee zum Glühen. Das Rathaus, die Ringmauer und der Schlosshof werden mit bunten Lichtanimationen in Szene gesetzt und im Museum von Murten wartet eine überraschende Lasershow darauf, entdeckt zu werden.
Die Idee stammt aus Lyon, doch die Beteiligung ist längst international. Rund 30 teilnehmende Künstler aus der Schweiz, aus Frankreich, Italien und der Slowakei zeigen auf mehr als 25 verschiedenen Kunstbühnen, man nennt sie im zweisprachigen Ort wohlklingender Arteplages, ihre Animationen und Lichtbotschaften – von riesigen Blumen, über begehbare Leuchtkristalle bis zu magischen Fischen. Dort werden nicht einfach Gebäude illuminiert. Sie beginnen zu leben. Am eindrucksvollsten gelingt das an der Primarschule. Das Gebäude liegt zentral mitten im Stedtli. Früher mussten die Jungen durch die Tür am Seeufer eintreten. Die Mädchen kamen von der Seite. „Nur die Herren Lehrer betraten das Gebäude durch das Hauptportal“, erzählt Heidi Buschbauer.
Ein Festival
mit bebender Schule
Jetzt sieht das ganz anders aus. Das Schulhaus ist in buntes Licht getaucht. Kinder schauen aus den Fenstern. Drinnen schrillt ein Telefon. Der Lehrer sei krank, heißt es. Die Schüler tanzen auf den Tischen, das ganze Haus bebt und geht schließlich in Flammen auf, um einer Fantasiewelt zu weichen. Und das liegt keineswegs am „vin chaud“, den man zur Begrüßung verkostet hat. Hauptpartner der Festivalmacher ist seit 2016 Spectaculaires, ein Team aus der Bretagne, das Projekte mit Licht und Ton realisiert. Für die Show auf der Schulfassade haben die Franzosen eigens 15 Kinder aus Murten gecastet und in ihre Filmanimation eingebaut. So können die zwei Wochen lang ihren Schabernack mit dem kranken Lehrer treiben.
Andernorts geht es beschaulicher zu. Der Schlosshof ist in mystischen Nebel gehüllt und wird von Laserprojektionen durchzuckt. Über der zentralen Marktstraße schweben zu Spährenklängen lebensgroße Wale aus Papier in einer Installation namens „Le Grand Bleu“. Auch die ebenfalls französischen Macher haben sich einen klangvollen Namen gegeben. Sie nennen sich „Porté par le vent“ – vom Winde getragen.
Ebenfalls den Wind macht man sich im „Ballsaal“, der Seeterasse neben der Französischen Kirche, zunutze. Dort flattern an Bäumen hängend Puppen mit Glitzer und Geschmeide zu Tanzmusik in der Luft. Auch abseits der Hauptstraße gibt es viel zu sehen. Feenpuder glitzert in den Tunnelpassagen und nicht nur für die Kinder erscheinen auf dem Hexenturm Rotkäppchen und andere Märchenfiguren.
65 000 Gäste waren 2018
beim Lichtfestival
Als ein Highlight der künstlerischen Darstellungen schweben in diesem Jahr Schmetterlinge auf vier Meter hohen Stelzen durch die Hauptgasse. Corona-Events, die die Eröffnungsfeier beim Karneval in Venedig gestalten, präsentieren damit eine Tanzperformance unter dem Titel „Frühlingerwachen“.
Und in der Deutschen Kirche lesen in diesem Jahr jeden Abend sechs Schweizer Dichter aus eigenen Werken. Begleitet werden sie von zwei Raben, die, als Animation an die Wände projiziert, die Besucher durch die Texte führen.
Das alles kommt an: 2018 haben 65 000 Gäste das Licht-Festival besucht, um die 26 Animationen in der Altstadt und entlang des Seeufers zu bewundern. Die Bürgersteige werden jetzt im Winter nicht mehr hochgeklappt. Wem es aber draußen zu kalt geworden ist, der kann sich bei Zürcher Geschnetzeltem und dem Murtener Nidelkuchen aus kalorienreichem Doppelrahm wieder aufwärmen.
Die Reise wurde unterstützt von Schweiz Tourismus.