Reiseziel: Deutsche Geschichte in Bonn
Kleine Entdeckungen im Arbeitszimmer von Bundeskanzler Konrad Adenauer.
Bonn. Rund 40 000 „Adenauer-Reisen“ führen jährlich nach Bonn und Bad Honnef-Rhöndorf. Künftig dürften es noch deutlich mehr werden, denn 50 Jahre nach Adenauers Rücktritt als Bundeskanzler ist jetzt sein Arbeitszimmer im Palais Schaumburg auch für Einzelbesucher zugänglich.
Eigentlich müsste Konrad Adenauer als Mensch und Kanzler längst bis in alle Winkel ausgeleuchtet sein. Umso größer ist die Überraschung derer, die nach eingehender Sicherheitsüberprüfung in das Palais Schaumburg und in Adenauers Arbeitszimmer eingelassen werden: „Man stolpert hier ständig über neue Züge des Alten von Rhöndorf.“
Auf dem Schreibtisch liegt ein Brief, in dem der damals 82-jährige Adenauer am 3. September 1958 seinem Vertrauten, dem CDU-Fraktionschef Heinrich („Papa“) Krone, damals 63, anvertraut: „Ich könnte nicht sagen, dass ich ein dringendes Verlangen nach Arbeit habe. Im Gegenteil, der Arbeitsdrang der ersten Wochen ist stark abgeflaut. Aber was will man machen. Zur richtigen Zeit muss man ja wieder anfangen.“
Der Stoßseufzer, den so ähnlich wohl schon viele Urlauber von sich gegeben haben, stammt aus Cadenabbia am Comer See, wo der Kanzler viele Jahre seinen Urlaub verbrachte. Der Brief widerlegt die gängige Ansicht, dass er ein Workaholic war, der nicht ohne Arbeit leben konnte.
In demselben Brief schrieb Konrad Adenauer dem Boccia-Spiel einen Großteil seiner Erholung zu: „Ich denke daran, wenn die Haushaltsmittel reichen, im Park in Bonn einen Bocciaplatz anlegen zu lassen.“ Wenige Wochen später ließ er Staatsgäste beim gemeinsamen Boccia im Kanzlerpark Einblicke in sein Privatleben nehmen.
Die historischen Räume, vom Arbeitszimmer bis zum Kabinettssaal, sind heute für Besucher freigegeben. Auch der Kanzlerbungalow und der Plenarsaal des Bundestags sind zu besichtigen. Für das Palais Schaumburg gilt allerdings eine Einschränkung: Wenn Angela Merkel in Bonn weilt und ihr Büro im Palais Schaumburg nutzt, sind Besucher nicht zugelassen.
Adenauers Arbeitszimmer ist deshalb so gefragt, weil es „Bände spricht“ — etwa über die Sparsamkeit des „Alten“. Die Stilmöbel, Schreibtisch, Sessel, die Besprechungsecke mit Polstermöbeln und die Kommode für die Fotos mit Widmungen prominenter Besucher — alles ist nicht echt antik, sondern billig nachgebaut. Über das ganze Zimmer sind Uhren verteilt. Die Standuhr zog Adenauer jeden Morgen eigenhändig auf. Wenn sein Blick zu einer der Uhren wanderte, wussten seine Besucher, dass sie sich besser verabschieden sollten.
Das Zimmer sieht aus, als habe „der Alte“ es gerade erst verlassen. Das schwarze Telefon, die Gegensprechanlage, der Löscher. Auf dem Aktenbock neben dem Schreibtisch liegt Adenauers braune Aktentasche, abgeschabt und von einem dicken Kaffeefleck verunziert. „Da war seine Thermosflasche ausgelaufen“, weiß der Guide. Adenauers Sekretärinnen schenkten ihrem Chef eine neue Tasche, aber der „Alte“ hing an dem alten Stück: Weil die Tasche an die schwierigen Nachkriegsjahre erinnerte und an einen Freund, der die Tasche gleich nach dem Krieg besorgt hatte.
Jeder Guide hat Anekdoten parat, etwa diese: „Der alte Parkettboden knarrt unter jedem Schritt. Adenauer gab Order, dass sich mittags, wenn er sein Nickerchen zu halten pflegte, niemand auf dem Parkett bewegen durfte.“
Dass er durchaus grantig sein konnte, beweist ein weiterer Brief. Adenauer kanzelte seinen Finanzminister Fritz Schäffer ab, der am Wolfgangsee Urlaub machte: Schäffer sei mit seinen Nerven offenbar noch nicht vollständig auf der Höhe. Es folgte die Weisung an Schäffers Ehefrau Else, für eine ordentliche Erholung ihres Mannes zu sorgen.
Die Guides erwähnen gern, dass das Palais schon lange vor Adenauer für Schlagzeilen sorgte. Im späteren Kabinettssaal heiratete 1927 Prinzessin Victoria, Schwester des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II., den russischen Hochstapler Alexander Zoubkoff. Als der das ganze Geld der Prinzessin durchgebracht hatte, beschallten lautstarke Ehekräche die Umgebung des Palais.