Skilift und Disco? Nein, danke!
Die Gastgeber auf dem Mieminger Plateau setzen auf Naturnähe und Umweltschutz.
Obsteig. Es ist dunkel. Stockdunkel. Nur die Sterne am Himmel tauchen den Lärchenwald, die kleine Lichtung und die hölzerne Hütte in ein mattsilbriges Licht. Allenfalls Konturen lassen sich schemenhaft erkennen. Also: Nichts wie rein in den Heustadl.
Im Inneren duftet es nach getrocknetem Gras — das ist der Matratzenersatz für die Nacht. Schuhe aus und ab in den Schlafsack.
Knarren, Kratzen, Rascheln: In der Einsamkeit der Hütte wartet eine Symphonie unterschiedlichster Geräusche. Ein wenig unheimlich ist es schon. Doch dann überwiegt die Müdigkeit.
Am nächsten Morgen ist munteres Schafgeblöke zu hören. Aufstehen und zurück ins Hotel, gut 20 Minuten zu Fuß vom Stadl entfernt.
Abgesehen vom „Abenteuer-Faktor“ gibt es für die Nacht im Heustadl noch besondere Anerkennung: Ein Lob von Hotelchef René Föger, einen satten Pluspunkt in der persönlichen Klimabilanz und ein deftiges Frühstück.
Kein Zweifel, auf dem westlich von Innsbruck gelegenen Mieminger Plateau wird in 1000 Metern Höhe der Urlaub in den Alpen neu definiert: Geringer Energieverbrauch, wenig Emissionen des klimaschädlichen Treibhausgases Kohlendioxid, schmackhafte Lebensmittel aus der Region und ein bewusster Umgang mit den natürlichen Ressourcen — dies sind die Hauptanliegen der Menschen dort.
Kommunalpolitiker, Landwirte, Hoteliers, Umweltschützer und Küchenchefs setzen zunehmend auf sanften Tourismus in Tirol. Die Region hat sich, nicht zuletzt durch das ausgewiesene Schutzgebiet der Lärchenwiesen, seine Natürlichkeit über die vergangenen Jahrzehnte bewahrt und zu einem Geheimtipp abseits der großen Tourismusströme entwickelt.
17 Kilometer lang und bis zu vier Kilometer breit ist das Plateau, das berühmt ist für seine milde Witterung mit über 2000 Sonnenstunden im Jahr und an dessen Nordseite sich die Mieminger Bergkette erstreckt. Mit 2768 Metern ist der Hochplattig der höchste Gipfel in der Felsformation mit den Bergen Wannig, Handschuhspitze, Grünstein, Wankspitze und der Hohe Munde am östlichen Ende.
Laut aktuellen Berechnungen von Wissenschaftlern zeigen sich genau in Regionen wie dieser in den kommenden Jahrzehnten die Folgen des globalen Klimawandels: Bei einer Erwärmung der Erdatmosphäre von zwei Grad Celsius werden dann nur noch 50 Prozent der Skigebiete in Österreich schneesicher sein (in Deutschland 13, in Italien 68 Prozent). „Eine Katastrophe für eine Region, die bisher auch vom Winterurlaub gelebt hat“, erklärt Manuel Lampe vom Innsbrucker Tourismusverband.
René Föger, Chef des Familien-Landhotels Stern in Obsteig, eine der drei Gemeinden am nördlichen Mieminger Sonnenplateau, fügt hinzu: „Wir haben die Wahl — entweder die Augen vor der drohenden Gefahr zu verschließen oder aktiv, umweltbewusst und zukunftsorientiert zu reagieren und so die natürlichen Lebensgrundlagen für uns und unsere Gäste zu bewahren. Und das alles ohne gehobenen Zeigefinger, sondern mit Leidenschaft und pfiffigen Ideen.“
So bietet das Hotel des 35-Jährigen seinen Gästen beispielsweise nicht nur Übernachtungen im Heustadl, sondern auch überwiegend gesunde, schmackhafte Lebensmittel aus der Region an — wie Schweinemedaillons auf Kräuterschaum mit Kräutern aus dem eigenen Garten oder Blunzengröstl, eine Tiroler Spezialität mit gerösteten Kartoffeln, Blutwurstscheiben und Spiegelei.
Die fleischlichen Zutaten stammen vom Nachbarn, Bio-Landwirt Andreas Riser. Auf seinem Hof geht es zu wie in alter Zeit: 35 Schweine, 45 Kühe und 100 Hühner werden artgerecht gehalten und gefüttert. Brot wird selbst gebacken. Wenn Besucher über den Hof schlendern, werden Gefühle von heiler Welt und Geborgenheit vermittelt. Gleichzeitig ist auf dem Hof aber auch Pioniergeist zu spüren. Immerhin war Riser einer der ersten Landwirte auf dem Plateau, die sich der „grünen Idee“ verschrieben haben. Mit Mut und Weitblick reiht sich Riser in die innovative Tradition des Mieminger Plateaus ein: Denn die Region ist gewachsen mit ihren Ideen.
In den 1920er und später in den 1950er Jahren galten die Menschen auf dem Mieminger Plateau als Pioniere der sogenannten Sommerfrische. Gut situierte Städter verbrauchten den Sommer auf den Höfen, haben sich auf dem Land erholt. Mitte der 1960er Jahre, direkt nach den Olympischen Winterspielen in Innsbruck 1964, entdeckte die Region den Wintersport als wichtiges Standbein für den Tourismus in Tirol.
1971 dann folgte der Bau des Skilifts in Obsteig. Er führte viereinhalb Kilometer Strecke hinauf zum Grünstein. Damals informierten sich sogar Freizeitexperten aus dem heutigen Schnee- und Skiparadies Ischgl in der 12 000 Einwohner zählenden Gemeinde Obsteig über Bau und Betrieb eines Skilifts.
2011 der folgte der nächste bahnbrechende Schritt: Der radikale Abbau des einzigen Skilifts am Grünstein bei Obsteig mit seinen 16 Pfeilern samt Betonfundamenten. Stattdessen sollen nun Urlauber und Einheimische für die Natur in Tirol begeistert werden — und im Winter auf Skilanglauf oder Schneeschuhwanderungen umsteigen.
„Unsere Gäste sollen echte Natur erleben — abseits der Pisten, des Trubels und des Kunstschnees. Wir legen besonderen Wert darauf, die natürliche Atmosphäre des Plateaus und die einzigartige Schönheit der Region für unsere Gäste zu erhalten,“ sagt Clemens Stecher, Biologe und Gründer des Alpinparks. Mit fünf Themenwegen, die eine Gesamtlänge von zehn Kilometern umfassen, rücken Vögel, Moose, Gewässer und die wild zerklüfteten Berge ins Zentrum der touristischen Wahrnehmung. Und so passen Wanderungen zu Fuß oder mit Pferd, Mountainbiking oder Nordic-Walking im Sommer sowie Rodeltouren, Langlaufen und Skiwanderungen im Winter gut in das ökologische Konzept — ebenso der Einsatz von E-Bikes für die Best Ager und alle, die sich ihre Puste für weitere Ausflüge — etwa zu den bewirtschafteten Almen Lehnberg, Simmering und Marienberg oder in die Nachbargemeinden Mieming und Wildermieming — aufheben.
Umweltschutz ist die Triebfeder für die Tourismuswirtschaft in Tirol, darin sind sich die Menschen auf dem Mieminger Plateau einig. Sie wissen, dass sie mit kleinen Dingen viel bewegen können. Etwa mit Mundraub: Ausgestattet mit Picknickkorb und Landkarte ziehen die Feriengäste los in die Streuobstwiesen, pflücken Äpfel und Birnen, sammeln Nüsse, Beeren und Kräuter. Das sind Gemeinschaftsaktionen, die vor allem bei Familien mit Kindern sehr beliebt sind.
Die Köche jedenfalls freuen sich auf die Mundräuber und deren Beute. Oma Adele beispielsweise, mit 90 Jahren die gute Seele im Familiengasthof Stern, macht aus den „gemundräuberten“ Äpfeln fruchtigen, wohl duftenden Strudel. Köstlich.
An- und Abfahrt mit der Bahn, Übernachtung im Heustadl, regionale Kost und Entspannung in herrlicher Natur: Da fühlt sich der Gast so richtig „huamelig“. Das ist Tirolerisch für „daheim“.