Stockholm: Unter den Wolken
Bei einer Ballonfahrt lässt sich die Stadt auf spannende Weise erkunden.
"Fahren und Fliegen" - welcher Name könnte passender sein für ein Unternehmen, das Ballonfahrten organisiert? Mit "Far&Flyg" geht es jedenfalls über Stockholm hinweg. Der Mann am Brenner heißt Kjell Abrahamsson. Kjell ist Anfang Dreißig, und einer, der viel lacht, aber wenig spricht. Und er ist groß und blond - so, wie man sich einen Schweden vorstellt.
Die kurzen Haare hat Kjell unter einer grauen Baseballkappe versteckt. Und die trägt er so stolz wie der Kapitän eines Ozeanliners seine Kapitänsmütze. So etwas Ähnliches ist er ja auch - nur eben ein Kapitän der Lüfte. Im Kleinbus samt Anhänger geht es quer durch die Stadt; Kjell sucht einen guten Startpunkt für den Ballon. Denn der Wind bestimmt, wo die Tour beginnt. "Die Fahrt!" betont Kjell nochmals, "ein Ballon fliegt nicht."
Nach halbstündiger Fahrt bringt Kjell den Wagen in der Nähe des Kaknästorn zum Stehen. Davor hatte er das Auto immer wieder angehalten, die Karte intensiv studiert, und das Ganze mit schweigendem Grübeln garniert. Vor dem Kaknästorn hält er an. Der Turm ist mit 155 Metern das höchste Bauwerk Stockholms. Welcher Ort könnte als Startpunkt für Himmelstürmer passender sein? Dann braucht es viele Hände, das Fluggerät aufzubauen: Der Korb muss vom Hänger und der Ballon mit heißer Luft gefüllt werden. Und davon jede Menge: Die zunächst kalte Luft wird in den Ballon gepumpt und mit einem Brenner auf 80 bis 100 Grad erwärmt. Mit der heißen Luft steigt auch der Ballon nach oben.
Kjell gibt seine Anweisungen ruhig. Die Fluglaien gehorchen, ziehen mal, halten mal oder bringen den Brenner in Stellung. Kjell zupft noch hier an einer Leine, richtet da noch das GPS ein oder wechselt die Gasflasche aus. Erst, als auch er mit den Vorbereitungen fertig ist und das Kommando gibt, lassen die Helfer die Leinen los. Die Fahrt über die Stadt beginnt.
Schon fast unmerklich erhebt sich der Ballon. Dennoch gewinnt er schnell an Höhe, lässt den Kaknästurm bald tief unter und dann weit hinter sich. Der Wind wählt die Reiseroute, treibt ihn nach Westen, Richtung Stadtzentrum. Der hohe Turm des Stadshuset am Ufer des Mälarsees kommt immer näher, ebenso Gamla Stan mit dem Schloss und der Riddarholmkirche. Und weit hinten am Horizont, vom Dunst der Großstadt in sanftes Licht getaucht, taucht der Globen auf, die große Sportarena, die sich wie ein überdimensionales Ei am südlichen Stadtrand erhebt.
In seinen Werbebroschüren nennt sich Stockholm gerne "das Venedig des Nordens." Vergleiche hat die Stadt eigentlich nicht nötig. Sie überzeugt mit ihrer eigenen, unverwechselbaren Schönheit. Doch wie Venedig ist auch Stockholm eine Stadt des Wassers. Wie sehr, wird hier oben schnell klar: Vor dem Ballon das Meer mit seinen tausenden Inseln, darunter kleine Seen, Tümpel und Flüsse, und weit im Westen der Mälaren, der große See, an dessen Ufer Teile der Stadt liegen. Aber Stockholm ist von oben nicht nur Blau. Auch viel Grün ist zu sehen. Riesige Parkflächen innerhalb der Stadtgrenzen. Auch der Ekoparken, der einzige innerstädtische Nationalpark der Welt, liegt hier.
400, 500 Meter über der Stadt gleitet man dahin. Winzig klein sind die Menschen in den Straßen. Das laute Fauchen des Brenners unterbricht die Stille in regelmäßigen Abständen. Denn um die Höhe zu halten, muss immer wieder nachgeheizt werden. Vielleicht sind alle Ballonfahrer so schweigsam wie Kjell, weil eine lange Unterhaltung hier oben gar nicht möglich ist. Wer zuviel spricht, dessen Worte werden vom Lärm des Brenners unterbrochen. Und vielleicht lachen alle Ballonfahrer so gern wie Kjell, weil sie jeden Tag diesen großartigen Ausblick genießen dürfen.
Nach knapp einer Stunde Fahrt senkt sich der Ballon langsam. Er nähert sich dem Landeplatz, dem alte Flugplatz von Barkaby. Erstmals seit dem Start meldet sich der schweigsame Kapitän wieder zu Wort: "Haltet Euch gut fest! Geht leicht in die Knie! Und verlasst den Korb nicht ohne meine Erlaubnis!" Und als wären alle Profis, setzt er punktgenau auf der Landebahn des alten Flughafens auf. Doch bevor jemand ein Lob aussprechen kann, hebt der Ballon wieder ab und hopp, hopp, hopp - landet er mit umgestürztem Korb auf der Wiese neben der Landebahn. Das sei normal, sagt Kjell völlig gefasst: "Heißluftballone haben eben keine Steuerknüppel."