Unterwegs mit Hurtigruten: Jubiläum für die berühmten Postschiffreisen entlang der norwegischen Küste 130 Jahre schönstes Norwegen
Von Claudia Kasemann
Da ist er also wieder. Zuverlässig wie ein Schweizer Uhrwerk rückt der Gabelstapler an, sobald die „MS Kong Harald“ am Kai festgezurrt ist. Es muss ja auch flott gehen, in Stokmarknes auf den Vesterålen-Inseln, ebenso wie in den weiteren 33 Häfen entlang der norwegischen Postschiffroute.
Laut Fahrplan sind hier gerade einmal 10 Minuten Zeit, um die Paletten mit Möbeln, Fischfutter oder Elektronik aus dem Süden auszuladen und neue Fracht im Bauch des Schiffes zu verstauen. Flutlicht braucht der Lademeister jedenfalls nicht, obwohl es 1.30 Uhr in der Nacht ist. Anfang Juli und weit jenseits des Polarkreises steht die Sonne um diese Zeit schräg am Firmament, und noch immer sind einige Passagiere wach genug, um dem Mann von der Reling aus bei seiner Arbeit zuzusehen.
Liniendienst zu den entlegensten Außenposten im hohen Norden
Seit 130 Jahren versorgen die Hurtigruten (nowegisch für „schnelle Routen“) im Liniendienst die entlegensten Außenposten im hohen Norden mit Waren aller Art - in der finstersten Polarnacht ebenso wie im permanenten Licht des Sommers. „Am 2. Juli 1893 trat das Dampfschiff Vesterålen die erste Hurtigruten-Fahrt der Geschichte an“, berichtet die Chronik: „Von Trondheim aus wurden neun Häfen angesteuert. Entlang der Küste schwenkten viele Familien Flaggen, um das Schiff willkommen zu heißen. Für sie bedeutete die Etablierung der Postschiffroute eine enorme Verbesserung ihrer Lebensqualität.“ Briefe brauchten nun nicht mehr Wochen und man konnte einander besser erreichen.
Ein Blick auf die Landkarte genügt, um die historische Bedeutung des Postschiffdienstes zu erfassen. Dass sich die Schönheit der 2650 Kilometer langen und von unzähligen Inseln und Fjorden durchbrochenen Küstenlinie Norwegens vom Schiff aus gesehen derartig spektakulär präsentiert, fand vor 130 Jahren nur am Rande Beachtung – es ging vor allem ums sichere Navigieren vorbei an Felsen, Untiefen und Strömungen. Damals eine echte Herausforderung für Kapitäne.
Und heute? „Läuft alles automatisch“, sagt Gunnar Benjaminsen gutgelaunt mit Blick zu den Monitoren auf der Brücke. Der Mann „mit dem schönsten Büro Norwegens“ steuert die „Kong Harald“, benannt nach dem Monarchen, gemeinsam mit seinem Team und meist per Autopilot auf der immer selben, genau festgelegten Route. Es gilt schließlich, den Fahrplan einzuhalten. Lediglich in Häfen oder bei stürmischer See übernehme man manuell. Neu an „MS Kong Harald“ – nach umfassender Modernisierung seit Mai wieder im Einsatz – ist übrigens der Hybrid-Antrieb. Mit dem sei auch das Schwesterschiff Richard With ausgestattet, „ein erster Schritt in Richtung Nullemissionen“, wie die Reederei betont. Die Umrüstung sei „die größte nachhaltige Modernisierung in der Geschichte von Hurtigruten“, so CEO Hedda Felin. „Sie ist ein wichtiger Beitrag zur Reduzierung der Emissionen entlang der norwegischen Küste.“
Großes Landschaftskino,
das fasziniert
Denn die ist vielbefahren. Zwar erreichen Flugzeuge praktisch jeden Ort des Nordens, aber die kombinierten Fracht- und Passagierschiff-Touren der Küstenlinie sind einfach Teil norwegischer Identität - und für Touristen aus aller Welt eine Traumreise. Auch deshalb, weil die vergleichsweise kleinen Schiffe anders als reine Kreuzfahrtriesen 500 statt 5000 Gäste an Bord nehmen und sie so zu atemberaubenden Sehenswürdigkeiten wie dem schmalen Trollfjord bringen können.
Es ist zweifellos das große Landschaftskino, das fasziniert. Kein Wunder, dass erfahrene Fans gern die Sessel vor den Panoramafenstern in Beschlag nehmen und die Highlights buchstäblich auf sich zukommen lassen. Angefangen in Bergen mit den berühmten bunten Hausfassaden, weiter Richtung Ålesund mit seiner Jugendstil-Architektur, quasi das Eingangstor zur Fahrt in den berühmten Geirangerfjord.
Der gleichnamige kleine Ort wird saisonal von hunderttausenden Besuchern heimgesucht und ist Startpunkt zahlloser Ausflugsbusse zu einem weiteren Postkartenmotiv, den Trollstigen mit ihren halsbrecherische Serpentinen.
Für meist einheimische Tagesgäste und Etappen-Passagiere auf den Hurtigruten-Schiffen sind die Touri-Touren kein Thema. Sie nutzen den Liniendienst vor allem, um von einem Hafen zum nächsten zu kommen. Denn das geht durchaus – genauso, wie einzelne Abschnitte flexibel zu buchen und unterwegs ein paar Tage an einem Ort zu bleiben, etwa auf den landschaftlich besonders schönen Lofoten-Inseln. Bodø, die schmucke Hafenstadt am Vestfjord, wird im kommenden Jahr übrigens Kulturhauptstadt.
Weiter geht die Fahrt entlang der Küste Richtung Norden, von Tromsø mit seiner imposanten Eismeerkathedrale über Hammerfest, Honningsvåg, dem Start der obligatorischen Nordkap-Exkursionen bis hin zu stillen Orten im Nordosten: Letzte Station, von Süden aus gesehen, ist schließlich Kirkenes, hoch im Nordosten.
Aus der Crew-Perspektive auf der „Kong Harald“ ist Kirkenes der Wendepunkt, vor allem aber ein weiterer Hafen. Für Menschen und für Fracht. Kapitän Gunnar schaut amüsiert in Richtung Hafenmauer, wo sich wieder einmal der Laderaum öffnet. “Wissen Sie, was das meistfotografierte Motiv auf diesem Schiff ist?“ Nicht das Sonnendeck, nicht die Lounge oder das Restaurant, „sondern der da unten, der Gabelstapler“.
Die Autorin reiste mit Unterstützung von Hurtigruten