Hinter dem Eisvorhang Reise in die Breitachklamm in Oberstdorf

Oberstdorf (dpa/tmn) — Wie ein Flammenschwert strecken die Kinder ihre Fackel dem Eisvorhang entgegen. Dahinter starren ihre Eltern ebenso ehrfürchtig auf die umgedrehten Orgelpfeifen aus Eis.

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Lichter von Stirnlampen tanzen auf den überhängenden Felswänden, werfen Schlaglichter in den Abgrund, wo man den Fluss rauschen hört. Es ist Freitagabend, Zeit für eines der beeindruckendsten Schauspiele in den bayerischen Alpen: die Fackelwanderung in der Breitachklamm.

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Eine Kette von Lichtern zieht sich durch die Schlucht, die Karawane der Fackelträger reißt nicht ab. An Spitzentagen kommen 600 Leute. An manchen Stellen wird es ungemütlich eng. Man möchte nicht wissen, in wie viele Funktionsjacken hier schon Löcher gebrannt wurden.

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Besinnlich ist erst der Rückweg. Endlich Muße, die verschneiten Bäume zu betrachten, den Fluss zwischen makellosen Schneehauben. Und, als die Fackel abgebrannt ist, den Sternenhimmel über der Schlucht.

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Wer sich genauer ansehen will, wo er im Halbdunkel herumgetapst ist, kommt am Tag wieder. Oskar Fischer ist der Guide auf der Runde durch die Klamm und zurück über die Alpe Dornach. Er ist 78, aber um seine Fitness muss man sich nicht sorgen. Der Bergführer wandert das ganze Jahr über mit Gruppen durch die Allgäuer Berge.

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„Ich halte den Werbebegriff Naturdenkmal für falsch“, hebt Fischer an. „Ich sage lieber Naturereignis.“ Denn Wasser, Sand und Kies fressen sich weiter in den weichen Kalkstein, jedes Jahr einen Zentimeter. „An diesen Gletschertöpfen sieht man das besonders schön“, sagt Fischer und zeigt auf eine blank polierte Auswaschung.

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Erdgeschichtlich ist die Klamm blutjung, rund 15 000 Jahre, ein Relikt aus der letzten Eiszeit. Nach dem Abtauen des 700 Meter dicken Gletschers im Kleinwalsertal suchte sich das Schmelzwasser einen Weg durch den harten Schrattenkalk hinunter ins Illertal. Es fand einen Riss und begann, in ihm zu arbeiten. Bis heute.

Über der Tür des Tunnels hängt eine Plakette mit dem Porträt von Johann Schiebel. Er war zu Beginn des 20. Jahrhunderts Pfarrer in Tiefenbach und hatte die Idee, den Zwing durch einen Weg zu erschließen. „Damals nannten es alle den Zwing“, klärt Fischer auf. Das bedeutet eingezwängtes Wasser. „Der Name Breitachklamm wurde erst später aus touristischen Gründen eingeführt.“

Schiebel hatte den aufkommenden Tourismus in Oberstdorf gesehen, er wollte, dass seine neue Gemeinde daran verdient. Zuvor war die Schlucht wild und unzugänglich. Arbeiter sprengten in der Klamm, sie hackten Treppen in den Fels, bauten Brücken und Geländer. Am 5. Juni 1905 wurde die Eröffnung gefeiert. Und schon bald zeigte sich, was für einen Hit Schiebel gelandet hatte. Im ersten Jahr kamen bereits 25 000 Besucher. Heute zählt man Jahr für Jahr rund 300 000 Besucher.

Die Gewalt des Wassers zeigt sich am dramatischsten in der inneren Klamm. An der engsten Stelle ist die Schlucht nur zwei Meter breit, auf einer Brücke drängeln sich die Besucher. „Im Sommer laufen die Leute hier schnell durch, weil der Wasserfall sie nass spritzt“, sagt Fischer. „Aber im Winter ist hier immer Stau.“ Denn der Wasserfall ist nun zu einem fantastischen Vorhang aus Eis erstarrt.

Wenn es taut, können diese Eiszapfen abbrechen. Die Wanderung wäre dann lebensgefährlich, sagt der Guide. Ebenso wie nach starkem Schneefall, wenn Lawinen in die Schlucht stürzen können. Deshalb bleibt die Klamm an rund einem Drittel der Wintertage geschlossen.

Wie wild die Breitach immer noch ist, kann man an einer grünen Leiste in der Felswand ablesen. Ganz oben der Rekord vom 23. August 2005: Damals donnerte das Wasser 6,60 Meter über der Brücke durch die Klamm und verwüstete den Weg. Aber auch die autogroßen Felsen, die sich zu einer Naturbrücke verkeilt haben, lassen die Gewalt ahnen.

Fischer wandert weiter. Von den Bäumen in der Höhe wehen Schneeschleier herab, die im Gegenlicht wie Diamantenstaub glitzern. Und ein Schneeball, den jemand von dem Brücklein weit oben geworfen hat. „Das ist der Zwingsteg“, sagt Fischer. Jahrhunderte lang überquerten Schmuggler auf ihm die Grenze zwischen dem Bistum Konstanz und dem Bistum Augsburg.

Unterhalb erkennt man ohne viel Fantasie eine Nase in der Felswand. „Das Indianergesicht“, sagt Fischer. Oder, wie es sein humanistisch gebildeter Lehrer nannte, das Dante-Gesicht. Die innere Klamm endet hier, bald führt eine Metalltreppe hinauf zum Kassenhäuschen am Nordeingang. Hier muss man sich entscheiden: entweder weiter durch die obere Klamm wandern, vorbei am Felssturz von 1995 und über die Grenze ins Kleinwalsertal. Oder links die Serpentinen bergauf steigen, die zum Zwingsteg führen. Die meisten Besucher entscheiden sich für die zweite Variante. Nach 20 Minuten ist das Ende des Waldwegs erreicht. Auf der Forststraße sieht man bald die ersehnte Wärmestube, die Alpe Dornach. Dort bleibt nur noch eine Gefahr - hier bis zum Abend hängenzubleiben.

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