Vom Hügel zum Gipfelkreuz: Mit dem Gleitschirm über das Allgäu
Füssen (dpa/tmn) - Unten reiht sich Besucher an Besucher, um Schloss Neuschwanstein von innen zu bewundern. Oben reiht sich Gleitschirmflieger an Gleitschirmflieger, um den Blick auf Schloss und Landschaft aus der Luft zu genießen.
Doch bis dahin ist es ein harter Weg.
Bepackt mit riesigen Rucksäcken stapfen Klaus Beck und die anderen über die saftig-grüne Wiese im Ostallgäu. Nur die Beine schauen unter dem schweren Gepäck noch heraus. Doch während der Rucksack für eine normale Bergtour reichlich überdimensioniert wäre, ist sein Inhalt für ihr Vorhaben unabdingbar: Ein Helm, ein Gurtzeug und ein Gleitschirm stecken darin. Und damit lernen sie, wie sie das Allgäu bald aus der Luft erkunden können.
Klaus Beck ist dafür extra aus Rheinland-Pfalz angereist: „Ich habe früher schon am Tegelberg Urlaub gemacht und die Gleitschirme da fliegen sehen. Da war für mich klar: Wenn, dann lerne ich es dort.“
Doch bevor es in die Luft geht, müssen die Teilnehmer des Gleitschirm-Grundkurses erst einmal ackern. Während gegenüber die Kühe in aller Seelenruhe grasen, packen die Männer am Fuß des etwa 40 Meter hohen Hügels ihre Rucksäcke aus. Zunächst üben sie das Starten im Flachen. Erst wenn der Startablauf dort klappt, geht es schrittchenweise etwas höher - bis sie schließlich von der Wiese am oberen Ende des Hanges starten.
Klaus Beck schnallt sich sein Gurtzeug wie einen Rucksack um. In der Luft wird der riesige Sack dann zu seinem Sitz. Damit er nicht herausfällt, schließt der 59-Jährige zwei Gurte an den Beinen und jeweils einen vor Bauch und Brust. Dann setzt er den Helm auf. Und schließlich zieht er den Gleitschirm aus einem etwa koffergroßen Päckchen heraus.
Bunter Stoff verteilt sich bald darauf über die Wiese. Überall sind dünne Leinen befestigt, die sich in zwei festen Ösen sammeln, die Fred Karbstein seinem Schüler an das Gurtzeug schnallt. Alles noch einmal überprüfen, dann die richtige Startposition einnehmen, und schon kann es losgehen.
„Bei den ersten Versuchen bin ich schon einmal schön den Hang hinuntergekullert“, erzählt Klaus Beck. Denn anfangs ist es gar nicht so einfach, den Schirm richtig in die Luft zu bringen - selbst wenn der Fluglehrer einem die richtigen Handgriffe über Funk ansagt. Jeder Gleitschirm-Neuling muss erst ein Gefühl für das Material und die richtige Technik bekommen. Bei Klaus Beck klappt es inzwischen recht gut.
Der Speyerer umgreift die Gurte und streckt die Arme nach hinten. Dann läuft er kräftig an. Die riesige Stoffkappe hebt sich langsam in die Höhe und - diesmal fällt sie nicht zusammen. Klaus Beck läuft weiter und verliert bald darauf für wenige Sekunden den Boden unter den Füßen.
„Der erste Hüpfer vom Boden weg, das ist schon ein Erlebnis“, sagt der 59-Jährige mit fröhlichem Gesicht - obwohl er dafür ordentlich schwitzen musste. Denn nach jedem kurzen Flug folgt ein mühsamer Aufstieg. Einen Lift gibt es nicht. Und knapp 30 Quadratmeter Stoff über der Schulter haben auch ihr Gewicht. 20 Flüge vom Übungshang sind Pflicht. Die Routine muss sitzen, bevor es im Höhenkurs an einen richtigen Berg geht.
Saskia Baak hat die Strapazen des Grundkurses schon hinter sich. Sie schnallt sich ihr Gurtzeug am Startplatz des Tegelbergs um, der mehr als 1700 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Vielleicht wird sie heute über Schloss Neuschwanstein fliegen. Über die Mauern und Türme des Märchenschlosses zu gleiten, ist der Höhepunkt eines Gleitschirmkurses im Allgäu.
Die 27-Jährige macht schon zum zweiten Mal Fliegerurlaub im Allgäu. Beim ersten Mal haben die drei Wochen nicht ausgereicht. Das Wetter hatte nicht mitgespielt. Auch daran zeigt sich: Wer Gleitschirmfliegen will, braucht Geduld. Insbesondere mit dem Wetter. Nicht nur Regen, Nebel oder Sturm halten einen Piloten vom Fliegen ab. Schon ein sonst angenehmes Lüftchen kann für einen Gleitschirmstart zu viel sein. Oder der Wind kommt einfach aus der falschen Richtung. Auch dann heißt es warten.
Da wird manch ein Flugschüler ungeduldig. Schließlich möchten die angehenden Piloten schnell die nötigen Flüge sammeln, um bald eigenständig durch die Luft zu gleiten. Wer die Zeit nutzt, sich einmal umzuschauen, der hält es aber auch das ein oder andere Stündchen hier oben auf dem Berg aus.
Im Voralpenland erstrahlt ein See neben dem anderen in tiefstem Blau, während der Lech sich türkisfarben durch das Ostallgäu schlängelt. Auf der anderen Seite verfängt sich der Blick in den zum Teil noch schneebedeckten Alpen. Und wenn das Wetter einmal richtig schlecht ist, dann bleiben immer noch Wetterkunde, Luftrecht oder Manöverschulung. Die Theorie will schließlich auch gelernt sein.
Heute kann es aber mit der Praxis weitergehen. Saskia Baak steht an der Startrampe - knapp 900 Höhenmeter oberhalb des Landeplatzes. Da kann einem auch trotz aller Übung schon mal mulmig werden. „Beim ersten Mal war mir richtig schlecht, und auch jetzt ist es noch Nervenkitzel ohne Ende“, sagt sie. Denn anders als an vielen anderen Startplätzen sieht der Pilot nicht, wie es nach der Startrampe weitergeht. Er läuft ins Nichts. „Aber in dem Moment, in dem man loslegt, ist das auch vergessen. Dann gibt es nur noch Laufen und Abheben. Die Spannung löst sich, und man genießt. Ein unglaubliches Gefühl.“